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Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Titel: Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
Autoren: Klaus Wanninger
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sich tief hinunter gebückt, war unter dem Plastikband durchgeschlüpft, den Kollegen seinen Ausweis entgegenstreckend. Verwundert hatte er den militärisch anmutenden Gruß eines der Uniformierten wahrgenommen. Der Mann war auf seine Vorstellung hin in eine starre Haltung verfallen, hatte mit der Rechten salutiert.
    »Was isch denn des für oiner?«, hatte sich eine schrille Stimme aus der wartenden Menge heraus beschwert. »Wieso lasset die den grad so durch?«
    Braig hatte die Kommentare nicht beachtet, war in die Dunkelheit der Lindenallee abgetaucht. Der asphaltierte Weg führte schnurgerade bergan, auf beiden Seiten von mächtigen Bäumen flankiert. Die Temperatur hatte sich spürbar abgekühlt, mit jedem Atemzug war kalte Luft in seine Lungen vorgedrungen. Er war kräftig ausgeschritten, hatte das leichte Frösteln auf seinem Rücken verdrängt. Zwanzig, dreißig Meter weiter war er auf die rot aufleuchtenden Rücklichter eines Autos gestoßen, das mitten auf dem Weg parkte: Der hellgraue Kombi von Helmut Rössle, einem der Spurensicherer des Landeskriminalamts.
    »So, i bin soweit. Jetzt geb i Saft.«
    Braig drückte sich an dem Fahrzeug vorbei, versuchte, einen Blick auf den Weg davor zu erhaschen. Im selben Moment flammten die Strahler auf. Von einer Sekunde zur anderen tauchten sie das Gelände in ihrer unmittelbaren Umgebung in ein grelles, fast unerträgliches Licht. Er verharrte mitten im Schritt, kniff die Augen zusammen, benötigte mehrere Sekunden, um mehr als nur Umrisse zu erkennen.
    »Mein Gott, isch des a schönes Mädle«, meldete sich Rössle ungewohnt leise wieder zu Wort. Die Bewunderung in der Stimme des Spurensicherers war nicht zu überhören.
    Braig starrte auf den Boden, sah Rössle und dessen Kollegen Dr. Kai Dolde über einen Gegenstand gebeugt neben dem Stamm einer Linde stehen, beide von Kopf bis Fuß in ihre gewohnten hellgrünen Plastikoveralls gehüllt. Hinter ihnen kniete eine weitere vermummte Gestalt, die er erst nach genauerem Hinsehen als Dr. Holger Schäffler, den Gerichtsmediziner, identifizierte.
    »Guten Abend zusammen«, grüßte er mit lauter Stimme. »Was ist passiert?«
    Die Männer drehten sich zu ihm um, forderten ihn mit entrüsteten Mienen und weit ausgestreckten Armen unmissverständlich auf, sofort stehen zu bleiben. »Keinen Schritt weiter«, rief Dolde.
    Ihre unausgesprochene Mahnung, etwaige Spuren nicht zu zerstören, augenblicklich begreifend, blieb er stehen, ließ sich die nötigen Plastiküberzüge reichen. Er stülpte sie über seine Schuhe, zog sie dann sorgfältig über die Hände. Die Männer verfolgten schweigend seine Bemühungen, verschwendeten kein unnötiges Wort.
    Braig kam die Situation vom ersten Moment an ungewohnt vor. Irgendwie war ihr Verhalten außer der Reihe. Versuchten sie sonst, dem traurigen Anlass ihrer Begegnung durch flapsige Sprüche oder locker hingeworfene Bemerkungen etwas an Schärfe zu nehmen, die Konfrontation mit einem aus dem Leben geworfenen Menschen in aufgesetzt heiterer Stimmung erträglicher zu gestalten, war heute nichts, aber auch gar nichts von derlei Versuchen zu bemerken. Niemand, nicht einer der drei Männer zeigte Ansätze zu solchem Verhalten. Stattdessen herrschte Stille, fast schon betretenes Schweigen. Die seltsame Stimmung, die hier in der Luft lag, war buchstäblich mit Händen zu greifen. Hatte es Streit gegeben, eine Meinungsverschiedenheit vielleicht bezüglich des Vorgehens bei der anstehenden Untersuchung?
    Er blickte von einem der Männer zum anderen, konnte nichts Auffälliges entdecken. Kein vor Zorn gerötetes Gesicht, keine in verbissener Wut verhärtete Miene. Stattdessen ruhige, konzentrierte Arbeit.
    Braig konnte seine Irritation nicht länger verbergen, gab ein unbeholfenes: »Alles okay bei euch?«, von sich.
    Dolde reagierte als Erster. »Hier, schau es dir an«, erklärte er, zu dem Baum weisend, »du wirst es verstehen.«
    Braig zurrte die Plastiküberzüge ein letztes Mal zurecht, stakste dann vorsichtig auf Zehenspitzen zum Rand des Weges. Der annähernd einen Meter mächtige Stamm einer Linde wuchs hier kerzengerade aus dem Boden, von dichtem, winterhartem Gras gesäumt. Die Rinde war an mehreren Stellen beschädigt, schriftähnliche Einkerbungen waren zu erkennen. Braig sah Doldes ausgestreckte Hand, begrüßte den Kollegen, ging zu ihm hin. Und dann stand er plötzlich vor dem ins Gras hinter den Baum gestreckten Körper eines Mädchens und wusste im selben Moment, dass er
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