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Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel

Titel: Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
Autoren: Klaus Wanninger
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Hund über den Rücken, eine Methode, die normalerweise Wirkung zeigte. Was auch immer seine Neugier oder den Argwohn erregt hatte, die persönliche Berührung durch sein Herrchen ließ ihn wieder zur Ruhe finden. Immer. In jedem Fall! Nur heute nicht!
    Der Retriever schoss nach vorne, zerrte an seiner Leine, bellte aus Leibeskräften. Verwundert starrte Reisinger auf ihn nieder.
    »Was ist los mit dir, Toni?«, fragte er in dem vertrauten Tonfall, den er nur seinem Hund gegenüber anschlug und der seine Frau oft genug zu vermeintlich von Eifersucht geprägten Kommentaren veranlasste.
    Der Vierbeiner, seinem Herrn treu ergeben, zeigte eigentlich alle Zeit die gleiche Reaktion. Was ihn auch immer bewegte, er ließ auf der Stelle davon ab, kehrte um, presste sich an Reisingers Bein, rieb seinen Kopf an dessen Hose heftig hin und her. Immer. In jeder Situation. – Nur heute nicht!
    Heute zeigte das Tier überhaupt keine Reaktion, schien die Stimme seines Herrn nicht wahrzunehmen. Stattdessen verschärfte er das Stakkato seines Gebells, zerrte immer heftiger an der Leine.
    Reisinger wusste keinen Rat, lockerte den Druck der Leine, soweit dies möglich war, sah den Hund vor sich den Weg hochspurten. Er hatte irgendeine Witterung in der Nase, kämpfte sich von Baum zu Baum. Der Mann hatte Mühe, ihm zu folgen, hörte das erregte Gebell des Vierbeiners, spürte, wie der Druck der Leine plötzlich nachließ. Der Retriever war hinter einem dicken Stamm verschwunden.
    »Toni, was ist los?« Reisinger rang um Luft, passierte die alte Linde. Die seltsame Körperhaltung des Hundes war das Erste, was ihm auffiel. Sie war ungewohnt, passte absolut nicht zu dem Tier, irritierte ihn sehr. Der Hund wandte ihm seine Rückseite zu, stand breitbeinig, den Schwanz und das Fell seltsam gesträubt, vor dem ins Dunkel getauchten Gestrüpp am Rand des Weges, Heß seinem Gebell ein unsicheres Winseln folgen.
    Der Mann rollte die Leine ein, zerrte ihn zurück. Ohne seine aufgeregte Haltung zu ändern, gab der Hund nur unwillig nach, zog sich wenige Zentimeter zurück. Reisinger hatte Mühe, seine Augen an den Dämmer zu gewöhnen. Er starrte ins Gewirr hinter der Linde, war zunächst nicht imstande, etwas zu erkennen. Nur langsam, von Sekunde zu Sekunde, lichtete sich das Bild. Er fuhr sich mit der Rechten über die Augen, erahnte die Umrisse eines menschlichen Körpers, bevor er ihn wirklich sah. Den bellenden, winselnden Hund an der kurzen Leine wurde er sich dessen, was da vor ihm aus dem Dunkel tauchte, immer deutlicher bewusst:
    Der Kopf, der Leib, die Gliedmaßen einer rücklings auf den januarkalten Boden gelegten Frau.
    Reisinger spürte das Zittern, das sich zuerst in seinen Armen, nach und nach dann in seinem ganzen Körper ausbreitete, konnte sich dennoch nicht dazu durchringen, seinen Blick von dem unbekannten Menschen zu lösen. Zu deutlich hatte er jetzt das schmale, vom Schatten der Zweige nur unwesentlich entstellte Gesicht einer Frau, ihre langen blonden Haare, die welligen Locken vor Augen. Ein Engel, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf, ein junger, blond gelockter Engel hier im Gras unter der Comburg. Gedanken an die gerade verklungene Advents- und Weihnachtszeit kamen ihm dabei aber nicht in den Sinn. Nicht einmal im Entferntesten.

2. Kapitel
    Die Aussicht von der Stadt aufs Bett des Neckars und die ihn umgebende Landschaft war trotz der auch am Nachmittag immer noch nicht vollständig aufgelösten Nebelschwaden allein schon den Besuch wert. Schon bei der Anfahrt im Zug hatten sie die traumhaft schöne Silhouette Bad Wimpfens von Weitem erblickt. Die exponierte Lage der alten Stadt am Hang über dem Neckartal, ihre schmalen Gassen mit viel Fachwerk und spitzen Giebeln, dazu die gewaltige Befestigungsanlage mit Toren, Türmen, Mauern und Kasematten vermittelten Steffen Braig den Eindruck, sich in einem mittelalterlichen Freilichtmuseum zu bewegen. Er hatte es keine Sekunde bereut, Ann-Katrin Räubers Drängen nachzugeben und sich für einen Urlaubstag und das Treffen mit einer Freundin seiner Lebensgefährtin – Eva Weiper, die vor wenigen Monaten nach Bad Wimpfen gezogen war – entschieden zu haben.
    »Ich bin im fünften Monat. Wer weiß, wie lange wir uns solche Ausflüge in nächster Zeit noch erlauben können«, hatte Ann-Katrin argumentiert.
    Seit ihr Bauch sich immer deutlicher zu runden begann, war er um besondere Rücksicht ihr gegenüber bemüht. Braig erinnerte sich noch genau an den Moment, als er von
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