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Bragg 04 - Dunkles Verlangen

Bragg 04 - Dunkles Verlangen

Titel: Bragg 04 - Dunkles Verlangen
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im Gang war es in jener Nacht völlig dunkel gewesen. Nur das fahle Licht des Vollmonds fiel von draußen herein. Jane sah plötzlich Timmys Mutter direkt vor sich – Charlottes Schwester. Als Abigail Smith das Kleid und das flammend rote Haar ihrer Schwester vor sich sah, bekam sie einen solchen Schrecken, dass sie direkt vor Jane ohnmächtig zusammenbrach. Jane konnte gerade noch einen Aufschrei unterdrücken. Sie raffte ihr Kleid zusammen und stürmte davon, stieß dabei jedoch mit dem Zeh gegen den Türpfosten und schrie laut auf. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.
    »Du bist gar kein Gespenst!«, schrie Timothy, der sich inzwischen wieder gefangen hatte.
    Jane sah ihn an. Timmys Kopf war rot wie eine Tomate, ob aus Scham oder aus Wut wusste Jane nicht. Eines wusste sie jedoch ganz genau: Der junge war ein äußerst unangenehmer fünfzehnjähriger Bursche, einen Meter neunzig groß und doppelt so schwer wie sie selbst. So viel war klar: Sie hatte ein Problem. Also rannte sie los.
    Trotzdem erwischte Timothy sie.
    Als Jane jetzt an die Nacht zurückdachte, kamen ihr die Tränen. Alles war so glatt gelaufen, bis Abigail aufgekreuzt und ohnmächtig geworden war. Ach, hätte sie – Jane – sich doch bloß nicht so impulsiv und so dumm verhalten. Oder wenn Abigail nur etwas früher oder später ins Bett gegangen wäre. Oder wenn sie selbst – Jane – ihren Auftritt nur ein wenig früher beendet hätte. Oder wenn sie erst gar nicht auf diese idiotische Idee verfallen wäre … Wäre, wäre, wäre!
    Herr der Finsternis hieß der Earl bei den Leuten.
    Jane erschauderte. Alles dummes Zeug, redete sie sich ein. Er ist doch nicht der Teufel, sondern ein ganz normaler Mann. Nein, sie hatte keine Angst vor ihm.
    Sie warf ihrer Tante einen verzweifelten Blick zu. Von der überkorrekten Witwe hatte sie allerdings kein Verständnis zu erwarten, das wusste sie nur zu gut. Matilda saß kerzengerade neben ihr und blickte in die Landschaft hinaus. Trotzdem versuchte es Jane.
    »Tante Matilda, ist dein Entschluss wirklich unumstößlich?« Ihre Stimme versagte, und sie fing an zu schluchzen.
    Matilda wandte ihr teigiges Gesicht zur Seite und sah Jane völlig ungerührt an. »Wir sind gleich da. Und wehe dir, du leistest dir hier einen deiner ungezogenen, albernen Auftritte. Ich warne dich. Als Fred noch am Leben war …, konntest mit deinen großen blauen Augen vielleicht etwas ausrichten. Außerdem hast du im letzten halben Jahr gemacht, was du wolltest … Ich war ja wegen Fred in Trauer, Gott sei seiner armen Seele gnädig. Aber der Earl ist kein dummer Landpfarrer. Der lässt sich deine Kindereien nicht bieten.« Matilda drohte ihr mit dem Finger. »Also reiß dich gefälligst zusammen, verstanden!«
    Jane ließ den Kopf hängen und biss sich auf die volle Unterlippe. Matilda hatte sie noch nie leiden können, nie etwas für sie übrig gehabt. Ihr Onkel Fred, der vergangenen Winter einem Herzinfarkt erlegen war, ja, der hatte sie gemocht, wenigstens ein bisschen. Vielleicht war alles ja tatsächlich am besten so. Mit der strengen, gefühllosen Matilda noch länger unter einem Dach zu leben, hätte sie ohnehin in den Wahnsinn getrieben. Nicht ein einziges Mal hatte sie die Frau bisher lächeln sehen.
    Ja, sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt wegzulaufen. Immerhin war sie schon siebzehn und in wenigen Monaten sogar achtzehn. Aber Matildas Entschluss, sie nach Dragmore zu bringen, war so überraschend gekommen, dass ihr so rasch kein Fluchtplan eingefallen war. Aber das ließ sich ja noch beheben. Dann dachte sie an ihre Freunde – ihre wahre Familie –, die sie vor vier Jahren in London zurückgelassen hatte: die King’s Acting Company am Royal Lyceum Theatre, und ihr wurde ganz warm ums Herz.
    Oh, hätte Robert sie damals doch bloß nicht weggeschickt.
    Jane war die Tochter der berühmten Schauspielerin Sandra Barclay. Sie war ein typisches Theaterkind. Schon als Kleinkind hatte eine Kinderfrau sie in der Garderobe ihrer Mutter in den Schlaf gewiegt. Und während Jane selig geschlafen hatte, war ihre Mutter draußen auf der Bühne vom Publikum enthusiastisch gefeiert worden. Schon als Kleinkind hatte Jane häufig mitbekommen, wie ihre wunderschöne blonde Mutter in prachtvollen, reich verzierten Kostümen in die Garderobe gerauscht war, um kurz darauf in einem anderen Kleid wieder hinauszueilen – dem donnernder Applaus, den Pfiffen und den Bravorufen entgegen. Ein paar Jahre später hatte sie dann mit großen
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