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Boys Dont Cry

Boys Dont Cry

Titel: Boys Dont Cry
Autoren: Malorie Blackman
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Briefe. Der oberste war an mich adressiert. Ich hob den Kopf, um dem Briefträger zu danken, aber er war bereits auf dem Weg zum nächsten Haus.
    Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich mit weichen Knien dagegen. Ich wollte mich nicht vom Fleck rühren. Und mit Sicherheit nicht ins Wohnzimmer gehen. Ehrlich gesagt, der Gedanke lähmte mich geradezu. Und wenn ich einfach hier mit geschlossenen Augen stehen blieb und wartete, dann bestand vielleicht die Möglichkeit, dass nichts von alldem real war.
    Ich legte Dads wattierten Umschlag und zwei Briefe, die nach Strom- oder Wasserrechnungen aussahen, auf das Telefontischchen in der Diele. Wie ferngesteuert riss ich den an mich adressierten Brief auf: meine Prüfungsergebnisse. Als ich auf das Blatt in meiner Hand starrte, überzog mich Eiseskälte und ich fühlte mich abgrundtief einsam.
    Viermal A mit Stern, die Bestnote.
    Im Wohnzimmer fing das Baby zu schreien an.

6 DANTE
    Ich saß dem Buggy gegenüber im Lehnstuhl und beobachtete das zerknautschte Gesicht des Babys. Tränen strömten ihm aus den Augen und über die Wangen. Es guckte mich ebenfalls an. Mich traf wie ein Blitzschlag die Erkenntnis, dass wir beide in diesem Augenblick genau das Gleiche fühlten. Und damit meine ich, exakt das Gleiche. Das Baby weinte und weinte und weinte. Wie gut hatte es die Kleine! Ich hätte unendlich gern mitgeweint. Aber das ging nicht. Ein Junge weint doch nicht – das hatte Dad meinem Bruder und mir oft genug eingeschärft. Und außerdem, was hätte es schon gebracht?
    Aus zwei Minuten wurden fünf, dann zehn, und das Gebrüll wurde eher noch lauter. Mir platzte schier der Schädel. Ich hielt es nicht mehr aus, es ging einfach nicht. Ich sprang auf, verließ das Zimmer und schloss die Tür fest hinter mir. In der Küche schenkte ich mir ein Glas Apfelsaft ein und kippte ihn in einem Zug hinunter. Dabei zählte ich die Sekunden, bis es an der Tür klingeln würde. Wo zum Teufel blieb Melanie? Die Viertelstunde war längst verstrichen, Melanie war schon mindestens doppelt so lange weg. Aus dem Wohnzimmer drang immer noch das Babygeplärr, doch das lautstarke Kreischen war in einen anderen Ton übergegangen, der müder und gereizter klang. Ich tigerte in der Diele auf und ab und versuchte mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass mir mein Leben zu entgleiten drohte.
    Behalt die Nerven, Dante. Es bringt überhaupt nichts, wenn du durchdrehst.
    Melanie würde bald zurückkommen. Sie würde das Baby nehmen und in den Norden ziehen und niemand würde je erfahren, dass sie überhaupt hier gewesen waren. Niemand würde etwas merken. Ich konnte mein Leben weiterleben und sie ihres.
    Als ich etwa meine fünfzigste Runde durch die Diele drehte, vibrierte das Handy in meiner Hosentasche. Unbekannter Teilnehmer.
    »Hallo?«
    »Dante, ich bin’s. Melanie.«
    »Wo zum Teufel steckst du? Du hast gesagt, du brauchst nur eine Viertelstunde. Die ist schon lange rum!«
    Schweigen.
    Beruhige dich, Dante . Ich zwang mich, tief Luft zu holen. »Mel, wo bist du?«
    »Es tut mir wirklich leid.« Und Melanie klang tatsächlich ganz aufgelöst.
    »Na ja, solange du inzwischen auf dem Weg hierher bist.«
    »Bin ich nicht.«
    Was? »Wie bitte?«
    »Ich bin nicht auf dem Weg zu dir.«
    »Wie lange brauchst du denn noch?«
    »Dante, ich komme nicht zurück!«
    »Was?«
    »Ich schaff das nicht, Dante. Ich hab’s wirklich versucht, aber es geht nicht. Ich brauche ein bisschen Zeit, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Deshalb denke ich, dass Emma es bei dir besser hat, du bist schließlich ihr Papa.«
    Im freien Fall aus dem Flugzeug ohne Fallschirm. Der Boden rast auf mich zu. Ich überschlage mich wieder und wieder. Anders kann ich diesen Augenblick nicht beschreiben. Ich stürzte ungebremst in die Tiefe und wusste, dass es kein Entrinnen gab …
    »Melanie, das kannst du nicht machen. Du kannst es nicht einfach bei mir abladen, weil du mal einen schlechten Tag hast.«
    »Einen schlechten Tag? Du glaubst, das ist alles?«
    »Hör mal, komm doch einfach zurück und wir reden darüber«, sagte ich, verzweifelt bemüht, ruhig zu bleiben.
    »Denkst du etwa, ich mache das gern?« Ihr beständiges Schniefen verriet, dass sie den Tränen nahe war, wenn sie nicht bereits weinte. »Ich finde es furchtbar, Emma zu verlassen, aber ich habe keine andere Wahl.«
    »Wovon redest du? Du hast die Wahl. Es ist deine Tochter.«
    »Sie ist auch deine Tochter.«
    »Aber du bist ihre
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