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Boys Dont Cry

Boys Dont Cry

Titel: Boys Dont Cry
Autoren: Malorie Blackman
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irgendwie schaffte er weder das eine noch das andere. Ich ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und überlegte, womit ich mir die Wartezeit vertreiben konnte. Um auf andere Gedanken zu kommen … mich abzulenken …
    Wie aufs Stichwort klingelte es. Einen Herzschlag später war ich an der Tür und riss sie voll ängstlicher Erwartung auf.
    Es war nicht der Briefträger.
    Es war Melanie.
    Ich starrte sie an. Erst nach ein paar Sekunden sah ich, dass sie nicht allein war. Ich starrte auf den Buggy neben ihr.
    »Hallo, Dante.«
    Ich sagte kein Wort. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit galt dem Baby im Buggy.
    »K-kann ich reinkommen?«
    »Ähm … ja, sicher. Natürlich.« Ich trat beiseite. Melanie schob den Buggy an mir vorbei. Stirnrunzelnd schloss ich die Tür hinter ihr. Sie blieb im Flur stehen und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Abwartend sah sie mich an, wie eine Schauspielerin, die auf ihren Einsatz wartet. Dabei wusste sie doch, wo das Wohnzimmer war, sie kannte unser Haus.
    »Geh ruhig rein.« Ich deutete auf die offene Tür.
    Als ich ihr folgte, schwirrten die Gedanken in meinem Kopf herum wie Bienen. Was tat die denn hier? Ich hatte sie ewig nicht gesehen … mindestens anderthalb Jahre. Was wollte sie?
    »Bist du Babysitterin?« Ich zeigte auf das Bündel im Buggy.
    »Ja, könnte man so sagen«, antwortete Melanie und sah sich die vielen Familienfotos an, die Dad links und rechts von Mums Lieblingsvase aus Bleikristall auf der Fensterbank und überall im Raum aufgestellt hatte. Auf manchen war ich, auf mehr davon Adam; die meisten jedoch zeigten Mum. Nur aus dem letzten Jahr vor ihrem Tod gab es keine. Ich weiß noch, dass Dad sie damals fotografieren wollte – er knipste ständig –, aber Mum hatte es nicht zugelassen. Und nach ihrem Tod hatte Dad die Kamera nicht wieder in die Hand genommen. Mel ließ den Blick von Foto zu Foto gleiten, studierte jedes eingehend. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was daran so faszinierend war.
    Während Melanie mit den Fotos beschäftigt war, nutzte ich die Gelegenheit, sie richtig anzusehen. Sie wirkte wie immer, vielleicht ein bisschen schlanker, aber das war auch schon alles. Zu ihren schwarzen Jeans trug sie ein hellblaues T-Shirt, darüber eine dunkelblaue Jacke. Ihre dunkelbraunen Haare schienen kürzer als früher, kürzer und stacheliger. Aber sie war nach wie vor umwerfend, mit den größten braunen Augen, die ich je gesehen hatte, eingerahmt von den längsten dunkelsten Wimpern. Ich warf einen kurzen Blick auf das Bündel im Buggy, das wie gebannt die Lampe in der Mitte der Zimmerdecke betrachtete.
    »Wie heißt es?«
    » Sie heißt Emma.« Pause. »Möchtest du sie mal nehmen?«
    » Nein . Ich meine, ähm, … nein, danke.« Meine Antwort kam in panischer Hast. War Melanie denn komplett irre? Auf keinen Fall wollte ich ein Baby halten. Und sie hatte mir immer noch nicht verraten, was sie eigentlich hier wollte. Nicht dass ich mich nicht über ihren Besuch gefreut hätte. Aber es war eben schon so lange her. Melanie war vor über anderthalb Jahren von der Schule abgegangen und seitdem hatte ich weder etwas von ihr gesehen noch gehört. Auch sonst hatte das keiner, soweit ich wusste.
    Und jetzt war sie bei mir zu Hause.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagte sie: »Ich bin weggezogen zu meiner Tante und nur für einen Tag hier, um eine Freundin zu besuchen. Da ich gerade in der Nähe war, dachte ich, ich könnte mal vorbeischauen. Ich hoffe, es stört dich nicht.«
    Ich schüttelte den Kopf und rang mir ein Lächeln ab. Plötzlich war ich verlegen.
    »Genau genommen reise ich heute noch ab«, fuhr Melanie fort.
    »Zurück zu deiner Tante?«, fragte ich.
    »Nein. Hoch in den Norden. Ich werde eine Weile bei Freunden wohnen.«
    »Schön.«
    Schweigen.
    »Kann ich dir was anbieten? Was zu trinken?«, sagte ich schließlich.
    »Mmh … einen Schluck Wasser vielleicht. Wasser wäre gut.«
    Ich ging in die Küche und füllte ein Glas am Wasserhahn. »Bitte.« Zurück im Wohnzimmer reichte ich es ihr.
    Das Glas zitterte ein wenig, als Melanie es an die Lippen hob. Nach zwei oder drei Schlucken stellte sie es auf dem Fensterbrett ab. Dann zog sie eine Schachtel aus ihrer Jackentasche, nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich zwischen die Lippen. »Macht’s dir was aus, wenn ich rauche?«, fragte sie, während sich die Flamme ihres Feuerzeugs längst dem Zigarettenende näherte.
    »Ähm … Mir nicht, aber Dad und Adam schon. Besonders Adam.
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