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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Autoren: Christopher McDougall
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sich hinein, dass sie jeden dritten Tag ihres Erwachsenenlebens entweder betrunken oder verkatert verbringen. Im Unterschied zu Lance führen die Tarahumara ihrem Körper keine Elektrolytgetränke zu. Sie essen zwischen ihren Trainingseinheiten auch keine Proteinriegel; eigentlich nehmen sie so gut wie gar keine Proteine zu sich, ihre Ernährung besteht im Wesentlichen aus Maismehl, das durch ihre Lieblingsspeise ergänzt wird: gegrillte Maus. Ist die Zeit für das Rennen gekommen, wird weder trainiert noch systematisch auf einen bestimmten Zeitpunkt hingearbeitet. Sie machen keine Dehnübungen und wärmen sich auch nicht auf. Sie spazieren einfach zur Startlinie, lachen und scherzen dabei … und rennen dann los wie die Teufel, um 48 Stunden lang nicht mehr anzuhalten.
    Warum sind sie nicht verkrüppelt?, fragte ich mich. Es sah ganz danach aus, als hätte sich ein Schreibfehler in die Statistiken geschlichen: Sollten nicht wir , die Leute mit den nach neuesten Erkenntnissen gestalteten Laufschuhen und den maßgefertigten Einlagen – verletzungsfrei bleiben und dafür die Tarahumara – die viel mehr und auf deutlich felsigerem Untergrund liefen, mit Schuhen, die man kaum als Schuhe bezeichnen konnte – ständig aus dem Rennen sein?
    Ihre Beine sind einfach widerstandsfähiger, weil sie ihr ganzes Leben lang gerannt sind, dachte ich, bevor mir aufging, dass das ein Trugschluss war. Aber das bedeutet, dass sie häufiger verletzt sein sollten, nicht weniger; wenn das Laufen schlecht für die Beine ist, sollte besonders häufiges Laufen sehr viel schlechter sein .
    Ich schob den Artikel beiseite und war fasziniert und verärgert zugleich. Alles, was wir über die Tarahumara wussten, schien nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, eine Verhöhnung, auf irritierende Weise unbegreiflich, wie die Rätsel eines Zenmeisters. Die zähesten Burschen waren zugleich die freundlichsten Menschen; die am stärksten belasteten Beine waren die flinksten; die gesündesten Menschen hatten die schlechteste Ernährung; ein Stamm von Analphabeten war weiser als alle anderen; diejenigen, die am schwersten arbeiteten, hatten am meisten Spaß …
    Und was hatte das Laufen mit all dem zu tun? War es ein Zufall, dass das erleuchtetste Volk der Welt auch die erstaunlichsten Läufer stellte? Sinnsucher stiegen auf die Berge des Himalaya, um diese Art von Weisheit zu erlangen – dabei war sie, so wurde mir klar, die ganze Zeit einen Katzensprung hinter der mexikanischen Grenze zu finden.

3

    Wo genau hinter der Grenze dieser Ort lag, sollte sich jedoch als schwierige Frage erweisen.
    Die Zeitschrift Runner’s World gab mir den Auftrag, in die Barrancas zu gehen, um dort nach den Tarahumara zu suchen. Ich brauchte allerdings erst einen Geisterjäger, bevor ich nach den Geistern suchen konnte. Man sagte mir, Salvador Holguín sei der einzige Mann, der dieser Aufgabe gewachsen sei.
    Tagsüber ist Salvador ein 33 Jahre alter Angestellter der Stadtverwaltung von Guachochi, einem Grenzort am Rand der Copper Canyons. Abends ist er ein Mariachi-Sänger, der in Kneipen auftritt, und er sieht auch entsprechend aus. Mit seinem Bierbauch, den schwarzen Augen, dem Rosenkavalierlächeln und dem gewinnenden Äußeren entspricht er genau dem Bild eines Mannes, der sein Leben zwischen Schreibtischstuhl und Barhocker aufteilt. Salvadors Bruder ist dagegen der Indiana Jones des mexikanischen Schulsystems. Jedes Jahr belädt er einen Esel mit Bleistiften und Arbeitsheften und schlägt sich mit dem Tier bis in die Barrancas durch, um die Schulen in den Canyons mit neuem Material zu versorgen. Salvador ist bei Unternehmungen aller Art gern mit von der Partie, deshalb nimmt er sich, wenn eine solche Expedition ansteht, auch mal frei, um seinen Bruder zu begleiten.
    »Hombre, kein Problem«, sagte er zu mir, nachdem ich ihn aufgespürt hatte. »Wir gehen einfach zu Arnulfo Quimare …«
    Hätte er es dabei belassen, wäre ich begeistert gewesen. Auf meiner Suche nach einem ortskundigen Führer hatte ich erfahren, dass Arnulfo Quimare der beste lebende Tarahumara-Läufer war. Er entstammte einem Klan von Cousins, Brüdern, angeheirateten Verwandten und Neffen, die fast genauso gut waren. Die Aussicht, direkt zu den verborgenen Hütten der Quimare-Dynastie geführt zu werden, war mehr, als ich hätte erwarten können. Das einzige Problem bestand darin, dass Salvador immer noch redete.
    »… ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Weg kenne«, fuhr er fort. »Ich war
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