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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Autoren: Christopher McDougall
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Gelassenheit war, so hatte es den Anschein, ihre übermenschliche Widerstandsfähigkeit gegen Schmerz – und lechuguilla , ein fürchterlicher, selbstgebrannter Schnaps aus Klapperschlangenleibern und Kaktussaft. Laut einem der wenigen außenstehenden Augenzeugen eines richtigen Tarahumara-Festes waren die Feiernden schließlich so enthemmt, dass die Frauen sich gegenseitig die Oberbekleidung vom Leib rissen und zum Oben-Ohne-Ringkampf übergingen, während ein gackernder alter Mann das Getümmel umrundete und die Kämpferinnen mit einem Maiskolben in den Hintern zu pieksen versuchte. Die Ehemänner beobachteten das Geschehen derweil wie gelähmt und mit glasigem Blick. Cancún während des Spring Breaks war gar nichts im Vergleich zu den Barrancas während der Erntezeit.
    Die Tarahumara feierten in diesem Stil gewöhnlich die ganze Nacht hindurch, und dann, gleich am nächsten Morgen, brachen sie zu einem Wettlauf auf, der nicht bloß über zwei Meilen ging oder bescheidene zwei Stunden, sondern zwei ganze Tage dauerte. Nach einem Bericht des mexikanischen Historikers Francisco Almada legte ein Tarahumara-Meisterläufer einmal 700 Kilometer ohne Pause zurück, was einer Laufstrecke entspricht, die in New York City beginnt und erst in Detroit zu Ende ist. Andere Berichte erzählen von Tarahumara-Läufern, die 480 Kilometer an einem Stück hinter sich brachten. Das entspricht nahezu zwölf Marathonläufen nacheinander, die der Läufer durchmisst, einen nach dem andern, bis das Dutzend voll ist, während die Sonne aufgeht, hoch am Himmel steht und schließlich wieder untergeht, bevor dann abermals ein neuer Tag beginnt.
    Und die Tarahumara bewegten sich keineswegs auf ebenen, asphaltierten Straßen, sondern liefen auf und ab, und das auf Canyonpfaden, die im Lauf der Generationen von ihren eigenen Füßen ausgetreten wurden. Lance Armstrong ist einer der größten Ausdauersportler aller Zeiten, doch seinen ersten Marathonlauf schaffte er nur mit Mühe und Not, obwohl er fast jeden zweiten Kilometer ein Energiegel zu sich nahm. (Nach dem New-York-City-Marathon schrieb Lance seiner Exfrau eine SMS: »Oh. Mein. Gott. Aua. Fürchterlich.«) Und diese Burschen schafften so etwas im Dutzend, nacheinander?
    Ein amerikanischer Physiologe wanderte 1971 in die Copper Canyons und war von der körperlichen Leistungsfähigkeit der Tarahumara so beeindruckt, dass er 2800 Jahre zurückgehen musste, um einen passenden Vergleichsmaßstab zu finden: »Seit der Zeit der antiken Spartaner hat vielleicht kein anderes Volk mehr einen solchen Grad der körperlichen Ertüchtigung erreicht«, resümierte Dr. Dale Groom, als er seine Ergebnisse im American Heart Journal veröffentlichte. Im Unterschied zu den Spartanern sind die Tarahumara allerdings so freundlich wie Bodhisattvas. Sie benutzen ihre enormen körperlichen Fähigkeiten nicht dazu, um andere fertigzumachen, sondern um in Frieden zu leben. »Als Gesamtkultur sind sie eines der großen ungelösten Rätsel«, sagt Dr. Daniel Noveck, ein an der University of Chicago lehrender Anthropologe und Tarahumara-Experte.
    Die Tarahumara sind ein so rätselhaftes Volk, dass sie sogar unter einem Pseudonym leben. Ihr richtiger Name lautet Rarámuri – Die Fußläufer. Die Bezeichnung »Tarahumara« prägten spanische Eroberer, die die Stammessprache nicht verstanden. Der verballhornte Name hielt sich, weil die Rarámuri ihrem eigenen Namen entsprachen und lieber wegliefen als stehenzubleiben, um über diese Frage zu streiten. Auf Aggression antworteten die Tarahumara stets, indem sie Fersengeld gaben, das war nun einmal ihre Art. So war es gewesen, seit Cortés’ gepanzerte Eroberer in ihre Heimat vorgedrungen waren, und auch bei späteren Invasionen durch Pancho Villas Rebellen und mexikanische Drogenbarone hatten sie sich nicht anders verhalten. Wurden sie angegriffen, rannten die Tarahumara immer weiter und schneller als jeder Verfolger, und dabei zogen sie sich immer tiefer in die Barrancas zurück.
    Mein Gott, sie müssen unglaublich diszipliniert sein, dachte ich. Totale Konzentration und Hingabe. Die Shaolin-Mönche unter den Läufern .
    Nun, das stimmte nicht ganz. In Sachen Marathonlauf pflegen die Tarahumara eher einen karnevalistischen Stil. Ihre Ernährung, ihre Lebensführung und ihr Temperament sind für einen Lauftrainer ein Albtraum. Sie trinken, als wäre Silvester ein wöchentlich wiederkehrendes Ereignis, und schütten dabei, aufs ganze Jahr gesehen, so viel Maisbier in
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