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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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in den vorderen, den offenen Bereich. Unsere Türen hier haben keine Klinken, sie können ohne Schlüssel gar nicht geöffnet werden.
    Ich bin froh, dass es so etwas gibt. Ich bekomme hier den Schutz, den ich sonst nirgendwo habe.
    Die Gitter vor meinem Fenster sind eine große Beruhigung. Ich kann schlafen bei offenem Fenster. Wenn es das Gitter nicht gäbe, hätte ich vielleicht Angst davor, dass jemand hereinklettert oder mir auch nur seine grinsende Fratze zeigt und mir die Zunge rausstreckt. Ich weiß, die Gitter sollen verhindern, dass wir einfach aus dem Fenster springen. Aber ich liege im zweiten Stock. Wenn man springen
würde, wäre es überhaupt nicht sicher, dass man dann auch wirklich tot ist. Das würde also gar nichts bringen.
    Hier hat man keine Handys und keine Computer. Ich bin für die anderen nicht mehr erreichbar.
    Hätte ich von dieser Klinik gewusst, so hätte ich mir schon früher gewünscht, hierher zu kommen. Ganz sicher. Hier, wo niemand ein böses Spiel mit mir treibt.

FEBRUAR
    »Mama! Mammutschka!!«
    Ich lief durch den Supermarkt, nahm eine enge Kurve an der Salatbar vorbei, um die Getränkekisten herum, die gestapelten Bierkästen. Ich war wie blind, ich sah gar nichts, nicht einmal Monika, die Kollegin meiner Mutter, die gerade eine Pyramide aus Linsendosen aufbaute.
    Offenbar ein Sonderangebot.
    »Mama!«
    Die Pyramide kippte in einem ohrenbetäubenden Krachen um, die Dosen kullerten über den gekachelten Boden. Es war furchtbar. Aber mir war das in dem Augenblick gar nicht wirklich bewusst. Ich sah nur, wie Monikas rote Pippi-Langstrumpf-Perücke verrutschte, sodass die energische und sonst so clevere Frau auf einmal wie ein großer trauriger Clown aussah. Ich machte einen Satz über den Dosenhaufen und fiel ihr in die Arme. »Tut mir Leid, Monika, ich bring das gleich in Ordnung, ich schwör’s, ich muss nur Mama vorher schnell etwas ganz Wichtiges sagen!« Und schon war ich weiter.
    »Hoppla, Svetlana! Nicht so forsch!« Das war Herr Wischnewski, den ich fast umgerannt hätte, als ich um die Ecke mit dem Tiefkühlschrank bog. »Das hier ist keine Rennbahn.«
    »Ich weiß, Herr Wischnewski, tut mir Leid. Aber ich bin so in Eile!« Ich keuchte, ich kriegte kaum Luft, weil ich so
aufgeregt war, aber ich bremste und strahlte ihn an. Für ihn musste ich mir Zeit nehmen. Herr Wischnewski war der Chef meiner Mutter, er konnte ihr kündigen, sie innerhalb von einem Monat vor die Tür setzen, ohne besondere Begründung. Solche Arbeitsverträge machte er. Es gab keinen Betriebsrat und für die Branche auch keine Mindestlöhne. Aber Mama war trotzdem froh, dass sie den Job gefunden hatte ohne Vermittlung durch das Arbeitsamt.
    Also musste sie mit ihm gut auskommen, auch wenn er ein Kotzbrocken war, der seinen weiblichen Angestellten gern mal wie zufällig den Hintern tätschelte und sie am Busen berührte. Gern auch ein bisschen mehr, wenn er sie zu einer Aussprache in sein Büro zitierte. Ich hasse solche Kerle, die immer so einen lüsternen Blick haben, wenn sie weibliches Fleisch sehen. Und ihre Hände nicht ruhig halten können. Ich finde, man dürfte denen das nicht durchgehen lassen, aber Mama sagte immer, wenn ich mich aufregte: »Ach Kätzchen, lass. Es gibt Schlimmeres.«
    Mamas Chef trug an diesem Tag eine goldbestickte Karnevalsmütze zu einer roten Uniformjacke. Dazu leuchtend rote Apfelbacken und einen angeklebten schwarzen Schnurrbart, der ihn irgendwie als genau den schmierigen Kerl entlarvte, der er in Wirklichkeit war. Aber das merkte er wohl nicht.
    Es war Faschingsdienstag, der Tag vor Aschermittwoch. Normalerweise wird das in Schleswig-Holstein nicht groß gefeiert, aber Herr Wischnewski hatte vorher bei SPAR in Köln-Porz gearbeitet, wo die Leute wie entfesselt Karneval feiern. Das war offenbar seine beste Zeit gewesen, denn in den Faschingstagen verteilte er Karnevalszeug, wie Kappen und Hütchen, Perücken und Bärte, an seine Angestellten und erwartete, dass sie karnevalistischen Frohsinn verbreiteten.
Dazu lief ständig irgendeine Übertragung aus einer Karnevalshochburg wie Düsseldorf, Mainz oder Köln. Tätä! Tätä! Tätä!
    Die Wursttheke, an der meine Mutter damals verkaufte, befand sich im hinteren Teil des Supermarktes, neben der Theke für Fleisch, an der Thomas arbeitete, ein Metzger, der seine Tattoos am Unterarm zeigte, indem er die Ärmel immer bis zum Ellenbogen aufkrempelte. Er hatte Hände wie Bärenpranken. Und immer Blutspritzer auf der Schürze.
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