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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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verschluckte. Es war so eine friedliche, wohlige Ruhe in dem Raum. Ich weiß, dass Mama in dem Augenblick dachte: So würde ich auch gerne leben.
    »Sie wissen«, sagte Frau Feddersen an meine Eltern gewandt, »dass Ihre Svetlana ein sehr kluges Mädchen ist!«
    Mein Vater reckte sich. Er zog den Bauch ein und machte die Schultern noch breiter. »Wirklich?«, fragte er.

    »O ja, daran besteht kein Zweifel, und deshalb müssen wir alles tun, um dieses Talent zu fördern.« Frau Feddersen und ich saßen nebeneinander auf dem Sofa. Sie legte einen Arm um meine Schultern, so als würden wir beide eine Front gegen meine Eltern bilden müssen.
    »Svetlana ist immer gern in die Schule gegangen«, sagte meine Mutter. »Sie lernt auch gern. Sie hat viel schneller Deutsch gelernt als wir.«
    »Ich nur wenig Deutsch...« Mein Vater wurde ein bisschen rot. »Männer mehr faul als Frauen.«
    »Du bist nicht faul, Oleg«, widersprach meine Mutter, »dir fehlt nur die Begabung für fremde Sprachen. Svetlana hat die Begabung.«
    Frau Feddersen lachte gutmütig. Sie fragte meinen Vater nach seinem Beruf.
    »Ich Lastwagenfahrer bei EMROX«, sagte er, »immer unterwegs nach Weißrussland.« Er lächelte meiner Mutter zu. »Nur wenig zu Hause.«
    Ach Papusch, dachte ich, rede doch in ganzen Sätzen, nur ein einziges Mal. Mir zuliebe. Nur weil wir heute bei meiner Direktorin sind. Aber hoffnungslos.
    Meine Mutter spricht viel besser Deutsch als er, aber sie hat eben diesen sehr harten russischen Akzent. Ich weiß nicht, warum es mir gelungen ist, diesen Akzent fast völlig abzulegen, die andere Sprache wie eine Muttersprache zu beherrschen. Ich hab eben Glück.
    Meine Mutter erzählte der Direktorin, dass sie als Wurstverkäuferin im Supermarkt angestellt war. Und dass es eine schöne Arbeit sei.
    Hey, dachte ich verblüfft, wieso sagt sie das jetzt? Sie findet die Arbeit doch grässlich, seit Monaten kommt bei uns
schon keine Wurst mehr auf den Tisch, weil sie den Geruch danach nicht auch noch zu Hause ertragen will. Wir müssen immer Käse essen, Quark oder Eier oder Salate. Nie Wurst. Oder Würstchen etwa, die findet Mama komplett grauenvoll. »Wenn ihr wüsstet, was da alles drin ist«, sagt sie immer, »dann würdet ihr die auch nicht wollen. Da verwenden die Fleischer alle Reste der geschlachteten Tiere. Da sind sogar Schweineaugen drin.« Und jetzt erzählte sie, während sie wie eine feine Dame ihren Kaffee trank, dass sie gerne als Wurstverkäuferin im Supermarkt arbeitete. Ich konnte das nicht mit anhören.
    »Mama! Wieso erzählst du nicht, dass du eigentlich Lehrerin bist?«, rief ich empört. »Wir sind seit drei Jahren hier in Deutschland und du hast vorher als Lehrerin gearbeitet.«
    Da wurde sie ganz rot und sah mich streng an. »Das ist doch nicht wichtig«, erwiderte sie.
    »Doch, es ist wichtig!«, rief ich. »Mach dich doch nicht kleiner, als du bist!«
    Und weil Mama nichts weiter sagte, sondern nur dasaß mit ihrem roten Gesicht, hab ich dann Frau Feddersen erzählt, dass meine Mutter in der Ukraine als Grundschullehrerin gearbeitet hat. Dass sie mal Bezirksjugendmeisterin im Schach war. Und dass sie eigentlich gehofft hatte, auch hier in Deutschland als Lehrerin arbeiten zu können. Aber daran war gar nicht zu denken gewesen. Wir sind als Spätaussiedler gekommen. Meine Mutter gehörte zu den sogenannten Schwarzmeerdeutschen, die von Stalin nach Sibirien verschickt worden waren und erst in den Siebzigerjahren von dort fort durften, in die Ukraine oder nach Weißrussland. Aber viele wollten nicht in der Ukraine bleiben oder in Weißrussland, sie hatten genug vom Kommunismus, sie wollten gleich weiter nach Deutschland.

    Meine Mutter hat in Sibirien so viel erlebt, so harte Zeiten gehabt. Grausige Zeiten, denke ich, weil sie nie davon redet. Ich wünschte mir so, dass sie an diesem Tag, bei Frau Feddersen, den Mund aufmachen und etwas erzählen würde. Schon um ihre Familie (und also mich!) interessanter zu machen. Aber sie tat es nicht. Sie erzählte nicht einmal, wie ich zur Welt gekommen war, im Zug, auf einer alten Pferdedecke. Sie schaute mich nur an, während ich redete und redete, und sagte schließlich leise: »Kätzchen, es ist nicht wichtig, wirklich nicht. Außerdem bin ich wirklich lieber hier in Deutschland Verkäuferin als in der Ukraine Lehrerin. Da hab ich ja nicht mal genug verdient, um mir einen neuen Wintermantel kaufen zu können.«
    Das Telefon klingelte, und dann sagte Frau Feddersen, dass sie
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