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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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konnte.
    Aber sie schaute ihn nicht an, sie blickte hoch zum Himmel.
    »Ich heiße Svetlana Olga Aitmatowa.«

EPILOG

    Vor drei Tagen hab ich Dr. Wiedemann meinen Text übergeben. Drei dicke Schulhefte, vollgekritzelt.
    Er hat sie kurz durchgeblättert und eine Bemerkung über meine Schrift gemacht, stimmt, ich hab eine Sauklaue. Ich hätte lieber am Computer geschrieben, aber Dr. Wiedemann war dagegen. Er meinte, manche Dinge schreibt man besser mit der Hand. Persönliche Sachen. Auch ist er der Ansicht, dass das Schreiben mit der Hand helfen könnte, meine Erstarrung zu lösen.
    Ich weiß nicht. Ich fühl mich nicht erstarrt.
    Dr. Wiedemann fragte, ob ich beim Schreiben auch etwas über mich gelernt habe.
    Darüber hatte ich bislang noch nicht nachgedacht.
    Aber macht nichts. Es geht mir besser, seit ich fertig bin mit dem Text. Und das ist die Hauptsache, meinte Dr. Wiedemann.
    »Du hast es dir von der Seele geschrieben«, sagte er. »Jetzt fühlst du dich leichter, oder?«
    Stimmt. Heute Morgen bin ich unten im Garten gewesen, und da ist mir dieses Hüpfspiel eingefallen, als ich über die Gehwegplatten lief. Dieses Spiel, das wir als Kinder gespielt haben. Und plötzlich habe ich angefangen, zu hüpfen. Rechtes Bein, linkes Bein, beide Beine. Dann einen Stein auslassen. Dann rechtes Bein, linkes Bein...

    Als ich mir bewusst wurde, was ich tat, hab ich mich umgeschaut, ob mir jemand zuguckt.
    Aber es war niemand da außer Malte, mein Partner beim Schach. Der hat nur gegrinst. Malte braucht keine Baumwollhandschuhe mehr. Seine Fingerkuppen sind abgeheilt. Das macht ihn irgendwie glücklich. Er hält es nämlich für seinen persönlichen Erfolg. Er sagt, er sei stolz, dass er zum ersten Mal aus eigener Kraft etwas geschafft habe.
    Ich weiß nicht, ich bin nicht so sicher. Ich denke, ohne Dr. Wiedemann wären wir doch alle noch am gleichen Punkt. Im gleichen Zustand, in dem wir hier in die Klinik eingewiesen wurden.

    Die Schule hat letzte Woche wieder angefangen.
    Alle büffeln jetzt für Klausuren und Mathearbeiten, nur ich liege hier faul rum.
    Das geht nicht mehr ewig so weiter.
    Ich hab Mama angerufen und sie gebeten, mir ein paar Schulbücher mitzubringen. Ich meine, es darf doch nicht sein, dass ich aus der Übung komme, dass ich alles vergesse.
    Ich hab gesagt, das Mathebuch und das für Französisch. Ich glaube, ich hab echt Lust, mich in Französisch zu verbessern. Französisch ist so eine kluge und elegante Sprache. Mamas Lieblingssprache. Und das Land soll überhaupt so schön sein. Und das Essen! Neuerdings rede ich viel vom Essen. Ich hab oft Hunger auf besondere Sachen. Mama sagt, wenn ich wieder nach Hause komme, kocht sie eine Woche lang nur meine Lieblinsgerichte.
    Übrigens fahren wir vielleicht bald nach Frankreich, an die südliche Küste. Eine Kollegin in Olegs Firma, wo ja jetzt
auch meine Mutter beschäftigt ist, hat irgendwo dort eine kleine Ferienwohnung, die würde sie uns vermieten.
    Mama war ganz aufgeregt, als sie mir davon erzählte. Oleg hat nur gelächelt. Wenn meine Mutter sich freut, freut er sich auch. Ich denke, er würde überall hinfahren, dorthin, wo es meiner Mutter gefällt, er ist schließlich auch mit ihr nach Deutschland gekommen.
    Er liebt sie eben.
    Ich bin echt gespannt, ob ich irgendwann mal einen Jungen kennenlerne, der mich ebenso anbetet. Das muss großartig sein.
    Sicher fühlt man sich da wie eine Königin.
    Mir gefällt es, dass meine Mutter und Oleg auch nach so vielen Jahren noch so verliebt ineinander sind. Und ich denke, sie werden es immer sein.
    Das Leben, sagt Dr. Wiedemann, kann nur »nach vorne« gelebt werden.
    Zuerst hab ich nicht verstanden, was er damit meinte. Schließlich hatte er doch verlangt, dass ich es rückwärts lebe. Er wollte doch, dass ich alles noch einmal aufrolle und aufschreibe, was mir in den zurückliegenden schlimmen Monaten passiert ist.
    Aber seit ich meinen Text abgeliefert habe, redet Dr. Wiedemann mit mir am liebsten über die Zukunft.
    Was ich mal aus meinem Leben machen will, ob ich schon Pläne habe, für das nächste Jahr, für später. Was ich einmal studieren will und in welcher Stadt. Solche Fragen stellt er. Ob ich später Kinder haben möchte oder nicht. Welches die wichtigen Dinge sind, die ich meinen Kindern beibringen würde. Und ob ich viel reisen möchte, welche Länder mich interessieren.

    Da hab ich gesagt: Frankreich. Es war das Erste, was mir einfiel.
    Dr. Wiedemann meinte, das sei eine großartige Idee.
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