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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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welchem
Stück des Bahndamms er den Ranzen weggeworfen hat. War es ganz am Schluss? Auf der Mitte der Strecke? Oder gleich hinter dem Bahnhof?
    Aslan drehte sich auf den Gleisen um und schaute zurück, wie weit er schon gegangen war. Die Schienen glänzten in der Sonne. Sie bildeten eine weit geschwungene Kurve, rechts davon war eine riesige Weide, auf der Kühe grasten. Links dichtes Buschwerk, das den Blick auf das Umland verdeckte.
    Aslan hatte von einem Haselnussstrauch eine Rute abgeschnitten und schlug damit nun auf die Brennnesseln ein, die kniehoch am Bahndamm wuchsen. Er musste dicht bei den Gleisen bleiben, weil der Schulranzen nicht weit geflogen sein konnte.
    Es war kurz vor eins. Ein dumpfes Grollen in der Ferne, vom Meer her, kündete vom abziehenden Gewitter.
    Wenigstens so, dachte Aslan, konnte er nicht mehr vom Regen überrascht werden. Das fehlte noch, wie ein nasser Hund den ganzen Bahndamm abzurennen.
    Der Ranzen hat neunundsechzig Euro gekostet. Aslan wollte gar nicht daran denken, was die Sachen wert waren, die in dem Ranzen waren. Die Bücher, die Hefte. Der teure Füllfederhalter, den Mehmet zu Ostern bekommen hatte... Mein Gott, dachte Aslan, was nehmen die Kinder sich heutzutage heraus.
    Er schlug auf die Brennnesseln ein und bog die Brombeerranken zur Seite. Die Ranken legten sich um seine Füße, zerkratzten seine Fesseln. Fehlte noch, dass er sich die Hosen zerriss, nur weil der Herr Sohn sich nicht zu benehmen wusste!
    Jetzt führten die Schienen über eine Art Brücke, unter der ein schmaler Feldweg hindurchführte. Ein Traktor mit einem Anhänger voll Heu ratterte laut unter Aslan den Weg entlang.
    Der Traktorfahrer sah ihn und hob grüßend die Hand.

    Er hält mich wohl für einen Streckenkontrolleur, dachte Aslan. Und plötzlich fiel ihm ein, dass lange kein Zug vorbeigekommen war.
    Der Zug vor einer Weile war zu hören gewesen, lange bevor er heran war. Da waren die Schienen in Bewegung geraten, eine Art Raunen eilte dem Zug voraus, das sich immer mehr gesteigert hatte zu einen Sirren und Singen. Aslan war schnell die Böschung hinuntergesprungen und hatte sich dabei die Hand an einem Stück Stacheldraht aufgerissen.
    Der Zug war vorbeigerast, und Aslan hatte gesehen, wie die eisernen Räder über die Schienen mahlten. Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie viel Kraft und wie viel Energie in solch einem Zug steckten.
    Wie lange ist das her?, dachte Aslan.
    Bald wird die nächste Bahn kommen. Aber aus welcher Richtung?
    Er stellte sich wieder mitten auf die Gleise und schaute zurück und dann nach vorn.
    Die Sonne war hinter ein paar Wolken verschwunden, Nachzügler des Gewitters, und die Schienen lagen nun wie ein graues Band auf dem schwarzen Schotter. Endlos.
    Ein ganz leichtes Zittern des Gleisbettes deutete an, dass sich etwas tat, dass da wieder diese gewaltige, geballte Kraft heranraste.
    Es war noch weit entfernt, aber die Bohlen wussten es schon, und es war, als gruben sie sich tiefer in den Schotter, und die Schienen spannten sich in Erwartung des Gewichtes, das sie würden tragen müssen.
    Wie faszinierend so ein langes Schienenband war. In der Schule hatte Aslan gelernt, dass Parallelen sich in der Unendlichkeit treffen. Er überlegte, warum das so ist, als ihm etwas Merkwürdiges auffiel.

    Da lag doch etwas auf den Gleisen!
    Keine hundert Meter von ihm entfernt lag etwas auf den Gleisen und bewegte sich nicht.
    Etwas, das da nicht hingehörte. Etwas Großes. Helles. Viel größer als der Schulranzen seines Sohnes.
    Die Sonne trat wieder hervor. Aslan legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können.
    Da leuchtete etwas golden auf. Was war das?
    Aslan spürte, wie sein Herz sich zusammenzog, wie eine Ahnung ihn erfüllte, eine Angst, die er verdrängen wollte. Denn das, was er fürchtete, konnte doch nicht sein.
    Da konnte doch kein Mensch auf den Schienen liegen!
    Er begann zu laufen.
    Die Bohlen vibrierten jetzt stärker, das spürte er, während er von einer zur anderen sprang, über den spitzen, scharfen Schotter hinweg.
    Das Goldene war das Haar, das sich ausbreitete auf den Schienen.
    Ein Mädchen.
    Ein Mädchen mit offenen Haaren lag über den Schienen!
    Er rannte. Das Herz schlug ihm gegen die Rippen.
    Er war ein Schneider und ein schlechter Läufer, aber wenn es um Leben und Tod ging, konnte er etwas aus sich herausholen.
    Lauf, Aslan! Lauf!, flüsterte er sich zu. Schneller!
    Da liegt ein Mensch.
    Er hörte das dröhnende Signal einer Lokomotive. Das
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