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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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Morgen ging Mama zum Friseur. Sie hatte das schon längst vorgehabt, aber irgendwie dann doch die Kosten gescheut. Sie ließ sich helle Strähnen färben und einen Pony schneiden. Papa musste den Anzug anziehen, den er sonst nur zu Weihnachten trug und bei den seltenen Feiern in seiner Firma. Dazu eine rot-weiß gestreifte Krawatte. Es sah echt vornehm aus.
    Um fünf Uhr nachmittags hatten wir den Termin bei der Direktorin. Sie hatte mir ihre Privatadresse aufgeschrieben. Sie wohnte in der Ludwigsallee, einer schönen Straße mit alten Villen und modernen Bungalows, wo es automatische Garagentore gab und richtige Vorgärten. Wo man den Leuten nicht in die Fenster gucken konnte. Eben was für andere Leute als wir. Solche, die Geld haben.
    Ich kannte die Straße nur, weil Mama da so gern durchfuhr, wenn wir von der Autobahn kamen. Es war ein Umweg, aber trotzdem: Sie liebte dieses ganze Viertel mit den schönen alten Straßenlaternen und den breiten Fußwegen unter großen Bäumen.
    Ich glaube, meine Mutter hat, wenn sie in der Ukraine an Deutschland gedacht hat, immer solche Straßen vor sich gesehen, mit herrschaftlichen Häusern, und dazu Parks, in denen kleine Mädchen auf Schaukeln durch die Luft fliegen.
    Frau Feddersen ist schätzungsweise um die fünfzig, mit einer grauen Kurzhaarfrisur. Ich wette, sie hat sich in ihrem Leben nie die Haare gefärbt. Sie trägt immer Schals oder Seidentücher, und gibt es eine Grippewelle an ihrer Schule, so legt sie den Zipfel des Schals vor den Mund, wenn sie
durch die Flure geht. So eine Art Mundschutz, um die Viren abzuhalten, nehme ich an. Wer Husten oder Schnupfen hat, muss zwei Meter Abstand von ihr halten. Das wirkt oft merkwürdig, aber ich mag sie. Denn trotz dieser Marotte ist sie so ein mütterlicher Typ Frau, der gern jeden Schüler, der Kummer hat, an den dicken, weichen Busen drückt. Sie hat eine sanfte, dunkle Stimme und lutscht unentwegt Salbeipastillen, weil sie empfindliche Stimmbänder hat. Frau Feddersen singt im Kirchenchor. Alt. Einmal wurde das Weihnachtsoratorium aufgeführt, von Bach. Bei dem berühmten Lied »Schlafe mein Liebster, schlaf ein« kam bei mir totales Gänsehautfeeling auf. Boah! Danach hatte ich immer richtig Ehrfurcht vor ihr. Vorher hab ich nie darüber nachgedacht, dass die Lehrer neben der Schule auch noch ein anderes Leben haben.
    Sie wohnte in einem alten Haus, das als einziges in der Straße nicht wirklich vornehm wirkte, aber von oben bis unten mit Efeu bedeckt war. Selbst im Winter waren die Blätter grün. Weil es an diesem Nachmittag geregnet hatte, glitzerten an der ganzen Wand die Wassertropfen auf den Blättern. Über dem Eingang war ein Glasdach und es gab eine Gegensprechanlage.
    »Zweiter Stock!«, rief Frau Feddersen. Der Summer ging und wir drückten die Tür auf. Innen war alles weiß lackiert. Ganz frisch, man konnte die Farbe noch riechen. Ein roter Teppichläufer auf den weißen Stufen. Das sah nun doch vornehm und elegant aus, ich hatte so was vorher noch nicht gesehen. Und auf jeder Etage gab es ein Fenster, vor dem jeweils ein Gummibaum stand.
    Die Direktorin wartete auf uns in der offenen Wohnungstür. Sie empfing meine Eltern so herzlich, als würde sie sie
ewig kennen. Mich drückte sie an sich, als wären wir seit Jahren enge Freunde. Was wirklich nicht stimmte.
    Sie hatte Tee und Kaffee gekocht, meine Eltern konnten sich aussuchen, was sie nehmen wollten. Auf dem Tisch standen Teller mit Plätzchen.
    Papa setzte sich etwas verlegen auf die Kante des Sessels und sprang immer sofort auf, wenn Frau Feddersen noch irgendetwas fehlte: »Oh, wir brauchen Zucker, wie dumm von mir.« Gleich wollte er den Zucker aus dem Schränkchen neben der Tür herbeischaffen. Einige Plätzchen waren mit Marmelade gefüllt und uns klebten die Finger. Da sprang mein Vater wieder auf, um die Servietten zu holen. Es war ein bisschen peinlich, aber er wollte Kavalier spielen, wollte aufmerksam sein. Ich konnte mir meinen Vater plötzlich als kleinen Jungen vorstellen, der seiner Lieblingslehrerin die Taschen getragen hat. Ich musste innerlich grinsen.
    Mama lächelte die ganze Zeit. Sie schaute sich voller Neugier, aber doch diskret, in dem Wohnzimmer der Direktorin um.
    Die Sonne schien durch die kleinen Erkerfenster. Davor stand ein Klavier mit aufgeschlagenem Deckel. Noten von Wolfgang Amadeus Mozart. An den Wänden hingen schöne Bilder. Und das Zimmer war mit einem hellen flauschigen Teppichboden belegt, der allen Lärm
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