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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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das Licht an; das bißchen, das durch die Ritzen fiel, genügte mir vollauf.
    Der Rhythmus, in dem die dünnen Sonnenstrahlen stärker oder schwächer wurden, regierte meine Tage. Ich steckte nie meine Nase nach draußen. Ich ging mit mir die merkwürdige Wette ein, daß die Vorräte in den Schränken für zwei Monate reichen müßten. Der Mangel an frischen Produkten sollte mein Aussehen nicht verbessern.
    Was ich lernte, interessierte mich nicht die Bohne. Ich beschloß, die Prüfungen zu bestehen und dann das Fach zu wechseln. Ich stellte mir die unterschiedlichsten Lebensläufe vor: Sargträgerin, Wünschelrutengängerin, Hellebardenverkäuferin, Floristin, Steinmetz, Meisterin im Bogenschießen, Ofensetzerin, Regenschirmrestauratorin, Kabelkummerkastentante, Kammerfrau, Ablaßhändlerin.
    Das Telefon schwieg. Wer außer meinen Eltern hätte mich auch anrufen sollen? Und die schifften sich gerade auf unwegsamen Flüssen ein, fotografierten Schotten im Kilt, bewunderten von der höchsten Spitze der Pyramiden 40 Jahrhunderte oder verspeisten mit den Papuas die letzte Menschenfresserfamilie – keine Ahnung, für welches exotische Ziel sie damals schwärmten.
     
    Am 13. August wurde ich siebzehn. Das Telefon blieb stumm. Das war nicht weiter überraschend: In den Sommerferien werden keine Geburtstage gefeiert.
    So nahm ich mein neues Lebensjahr gar nicht ernst und vertrödelte den Vormittag in einer Art Niemandsland des Geistes, dabei simulierte ich das Wiederholen von Vorlesungen in politischer Ökonomie – tatsächlich stürzte mein Bewußtsein in einen Abgrund, dessen Tiefe für mich nicht zu ermessen war.
    Eines Nachmittags verspürte ich plötzlich das zwingende Bedürfnis nach einem Körper; es gab ja nur einen.
    Ich erhob mich wie ein Gespenst und machte die Schranktür auf, an der innen der große Spiegel hing. Ich sah einen Chicoréekolben in einem weiten weißen Hemd.
    Ich konnte noch immer keinen Körper sehen, also zog ich mich aus.
    Das Wunder blieb aus. Ich war enttäuscht. Nichts an diesem nackten Spiegelbild konnte meine Liebe erwecken. Ich tröstete mich mit Philosophie. Schließlich war ich es gewohnt, mich nicht zu mögen. Außerdem konnte es immer noch passieren. Ich hatte Zeit.
    In dem Moment wurde ich Zeugin eines erschreckenden Phänomens.
    Ich sah im Spiegel, wie die Tote von der Lebenden Besitz ergriff.
    Ich sah, wie meine Arme sich zunächst wie zur Kreuzigung ausbreiteten, wie sie dann an den Ellbogen zu einem spitzen Winkel zusammenklappten und meine Hände sich widerwillig zum Gebet vereinten.
    Ich sah, wie meine Finger sich ineinander verhakten, ich sah, wie meine Schultern sich zum Bogen spannten, ich sah, wie mein Brustkorb sich vor Anstrengung wölbte, ich sah, daß mein Körper mir nicht mehr gehorchte und sich schamlos der Leibesübung hingab, die Antichrista mir verordnet hatte.
    So kam es, daß ihr Wille geschah statt meinem.

 
     
    Blanche ist ein Mauerblümchen – leichtgläubig und einsam. Normalerweise wird sie von niemandem auch nur bemerkt. Dabei träumt sie schon lange davon, eine Freundin zu haben. Als sie an der Universität Brüssel zu studieren beginnt, hat sie schon die Hoffnung auf menschlichen Kontakt aufgegeben. Wie erstaunt es sie daher, als die allseits beliebte, schöne Christa sie anspricht. Blanche tut alles, um Christas Freundin zu sein. Sie hat ja – so meint sie – nichts zu verlieren. Doch da hat sie sich getäuscht. Als Christa ihr wahres Gesicht zu erkennen gibt, ist es zu spät: Blanche hat ihre Unabhängigkeit eingebüßt. Christa ist zu ihrer Antichrista geworden. Böses Mädchen ist mehr als die Geschichte einer Freundschaft. Es ist die Nothombsche Variante der Vertreibung aus dem Garten Eden. Blanche wird von Christa verführt und landet in der Hölle der menschlichen Beziehungen. Und von da gibt es kein Zurück.
     
    »Eine boshafte Geschichte über die Lüge.«
    Anthony Palou / Madame Figaro, Paris

 
     
    A MÉLIE N OTHOMB , 1967 in Kobe geboren, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten in Japan und China verbracht. Seit dreizehn Jahren schreibt sie wie besessen. In Frankreich erstürmt sie seit Erscheinen ihres Erstlings Die Reinheit des Mörders mit jedem neuen Buch die Bestsellerlisten. Für Mit Staunen und Zittern erhielt sie den Grand Prix de l’Académie française. Amélie Nothomb lebt in Brüssel und Paris.
     
    Blanche und Christa sind Freundinnen. Bis Blanche Christas wahres Gesicht erkennt: Sie ist
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