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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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Forschungsreise wurde eine pataphysische Expedition. Ich ging in jedes Lokal, das auf meinem Weg lag, stemmte meine Ellbogen auf die Theke und fragte feierlich: »Arbeitet hier ein Detlev?«
    Und erntete jedesmal erstaunte Blicke sowie die Auskunft, den Namen habe man noch nie gehört.
    Anfangs fand ich das beruhigend. Ein ausgefallener Name begünstigte nur meine Suche. Nach zwei Stunden Kneipentourismus begann ich mich zu fragen, ob es Detlev überhaupt gab.
    Und wenn Christa ihn erfunden hatte?
    Ich erinnerte mich daran, wie meine Mutter bei der Auskunft angerufen hatte, um sich nach Christas Telefonnummer zu erkundigen, und zur Antwort bekommen hatte, es gebe in der gesamten Region keinen Eintrag unter dem Namen Bildung. Damals hatten wir vermutet, sie könnten sich vielleicht keinen Telefonanschluß leisten.
    Und wenn Christa ihre Familie erfunden hatte?
    Nein, das war unmöglich. Man mußte seine Identität nachweisen, um sich an der Universität einschreiben zu können. Sie hieß Bildung, soviel war sicher. Außer sie hatte ihre Papiere gefälscht.
    In der kleinen deutschen Stadt im Osten wurde der Schnee zu schwarzem Matsch. Ich hatte vergessen, wonach ich hier eigentlich suchte. Ich fror, und mein Zuhause war Lichtjahre entfernt.
    Systematisch durchkämmte ich jetzt die Straßen nach Schanklokalen. Es gab eine ganze Menge davon. Anscheinend fiel den Bewohnern dieses Kaffs, dessen Name nichts Gutes verhieß, recht häufig die Decke auf den Kopf.
    Dann stand ich vor einer geschlossenen Tür, die angeblich »Ab 17 Uhr geöffnet« war. So lange wollte ich nicht warten, es sah ohnehin nicht vielversprechend aus; unwahrscheinlich, daß ich hier richtig sein sollte. Trotzdem wollte ich nichts unversucht lassen.
    Ich drückte auf die Klingel. Nichts. Ich schellte beharrlich. Schließlich kam ein großer, blonder Junge heraus, der aussah wie ein Schwein.
    »Entschuldigung, ich suche Detlev.«
    »Der bin ich.«
    Ich fiel fast hintenüber.
    »Sie sind Detlev? Sicher?«
    »Ja klar.«
    »Ist Christa hier?«
    »Nein, die ist zu Hause.«
    Das sollte Detlev sein? Es war zum Totlachen. Ich mußte ziemlich an mich halten, um ernst zu bleiben und mich nicht zu verraten.
    »Könnten Sie mir ihre Adresse geben? Ich bin eine Freundin von Christa und würde sie gern besuchen.«
    Vertrauensselig holte das Ferkel ein Stück Papier und schrieb mir Christas Adresse auf. So also sah der sagenumwobene Detlev aus, der David Bowie des Ostens. Wenn der Typ dem Sänger mit den verschiedenfarbigen Augen glich, dann war ich Dornröschen. Das allein war schon die Reise wert. Ich schoß ein paar Fotos mit meiner Wegwerfkamera.
    Er wunderte sich darüber.
    »Ich möchte Christa überraschen.«
    Mit einem freundlichen Lächeln hielt er mir den Zettel hin. Er schien ein netter Mensch zu sein. Sicher liebt er Christa, dachte ich beim Abschied. Daß sie solche Lügen über ihn verbreitete, lag wahrscheinlich daran, daß sie sich für ihn schämte. Sie liebte ihn also nicht. Ein schöner Mann hätte ihrer sozialen Selbstdarstellung gedient. Doch da er fett und häßlich war, hielt sie es für klüger, ihn zu verstecken und Ammenmärchen über ihn zu erzählen. Es war erbärmlich.
    Die Straße, in der Christa wohnte, lag in Malmedy. Ich empfand eine metaphysische Befriedigung darüber, daß sie in dem Ort lebte, aus dessen Namen das Böse sprach.
    Daß sie behauptet hatte, aus einem Dorf zu kommen, wunderte mich nicht. Auf eine Lüge mehr oder weniger kam es auch nicht an, und sie schien unbedingt ihre Spuren verwischen zu wollen.
    Ich fragte mich, was sie wohl zu verbergen hatte. Warum dieses Geheimnis um ihr Zuhause? Je näher ich ihrem Viertel kam, desto stärker quälte mich die Neugier.
    Als ich vor dem Haus stand, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Wenn nicht auf dem Briefkasten ihr Name gestanden hätte, wäre ich überzeugt gewesen, daß es sich um einen Irrtum handelte. Es war ein prächtiges Gebäude, ein schönes, großes Bürgerhaus aus dem 19. Jahrhundert, so wie man sich das gemütliche Heim der Figuren aus den Romanen von Bernanos vorstellt.
    Daß die Bildungs nicht im Telefonbuch verzeichnet waren, konnte nur daran liegen, daß sie eine Geheimnummer hatten. Wahrscheinlich wollten sie nicht für jedermann erreichbar sein.
    Ich klingelte. Eine Dame im Hauskleid öffnete die Tür.
    »Sind Sie Christas Mutter?«
    »Nein, die Haushälterin«, sagte sie verdutzt, als hätte ich sie mit meiner Verwirrung angesteckt.
    »Ist Doktor Bildung
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