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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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noch ihre Uniclique, die Typen, die sie ihre Freunde nannte. Die schien sie sich eher zu dem Zweck zu halten, den Kult um ihre Person zu pflegen.
    Ich wußte nur von einer Liebe, die über jeden Zweifel erhaben war: Christas Liebe zu sich selbst. Sie liebte sich mit einer seltenen Aufrichtigkeit. Sie war dazu fähig, sich die unglaublichsten Liebeserklärungen zu machen, und zwar über so haarsträubende Umwege, daß sie mich damit jedesmal verblüffte.
    Eines Abends zum Beispiel überrumpelte sie mich aus heiterem Himmel mit der Frage, ob ich Hortensien möge.
    Diese altmodischen Badehauben für den Garten? »Ja«, sagte ich. Ich mochte sie.
    Christa feixte.
    »Ich wußte es«, rief sie. »Hortensien haben etwas Bäurisches. Ich bin zu empfindsam, um sie zu mögen, ich hasse Hortensien. Ich mag nur ganz zarte Dinge. Das ist ein echtes Problem für mich: Ich bin allergisch auf alles, was nicht von äußerster Zartheit ist. Was Pflanzen angeht, ertrage ich nur Orchideen und Elfenblumen. … Aber, wo hatte ich bloß meinen Kopf? Du hast sicher noch nie etwas von der Elfenblume gehört …«
    »Doch, doch, die kenn ich.«
    »Ach? Das wundert mich aber. Das ist nämlich die Blume, die mir am meisten gleicht. Sie ist so zart, daß sie jeden, der sie malen will, zur Verzweiflung treibt. Deshalb ist die Elfenblume meine Lieblingsblume.«
    Daß ich darauf nicht selbst gekommen war!
    Solche Sätze lassen sich nicht erfinden. Sie flocht sich aus Worten Kränze. Wie war das noch mit der Eigenliebe? Steckt da nicht die Narzisse drin?
    Angesichts dieser als Dialoge getarnten Monologe mußte ich mir jedesmal mühsam das Lachen verbeißen. Bei Christa konnte davon keine Rede sein. In ihren Hymnen war kein Funken von Ironie, sie waren absolut ernst gemeint. Schließlich galten sie dem Gegenstand, der ihr besonders am Herzen lag: Mademoiselle Christa Bildung und die unendlich zarten Gefühle der Liebe, Verehrung, Leidenschaft und Bewunderung, die sie in ihr erweckten.
    Zunächst fand ich die Geschichte komisch. Damals glaubte ich noch, daß Christa auch andere liebte. Narzißmus erschien mir nicht verdammenswert, sofern er nicht den Blick auf andere verstellte. Allmählich mußte ich erkennen, daß für Antichrista Liebe ein rein reflexives Phänomen war: ein Pfeil, der von ihr ausging, um wieder zu ihr zurückzukehren – die kleinste archée der Welt. Wie konnte man mit einer so geringen Reichweite leben?
    Das war ihr Problem. Ich mußte meinen Eltern die Augen öffnen. Es ging um ihren guten Ruf. Wenn Christa es wagte, sie in meiner Gegenwart derartig schlechtzumachen, was würde sie sich erst anderen gegenüber herausnehmen, wenn ich nicht dabei war? Ich konnte es nicht mit ansehen, daß jemand, dem meine Eltern so zärtlich zugetan waren, sie so verachtete.
    Im Februar war eine Woche Ferien. Christa fuhr nach Hause, »um den Schnee auszunutzen«. Der Ausdruck paßte zu ihr – sie nutzte sogar den Schnee aus.
    Jetzt war die Gelegenheit zu handeln.

 
     
     
     
    A m nächsten Tag teilte ich meinen Erzeugern mit, ich wolle mit Freunden lernen und sei abends wieder zurück. Dann ging ich zum Bahnhof und kaufte mir eine Fahrkarte nach Malmédy.
    Da ich Christas Adresse nicht kannte, mußte ich diese Bar finden, in der sie und Detlev arbeiteten. In einer Stadt mit zehntausend Einwohnern gab es sicher keine sechsunddreißigtausend Etablissements dieser Art. Ich nahm noch eine Wegwerfkamera mit.
    Je weiter der Zug in den Osten vordrang, desto mehr stieg meine Erregung. Die Reise war eine metaphysische Expedition. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich in ein derartiges Unternehmen gestürzt: allein an einen unbekannten Ort zu fahren. Als ich meine Fahrkarte überprüfte, stellte ich fest: Das E von Malmedy trug keinen Akzent. Wir hatten es also immer falsch ausgesprochen, meine Eltern und ich: Malmédy, Christa hatte immer Malmedy gesagt. Und das war richtig, es lag also nicht an ihrer deutschen Aussprache, wie wir vermutet hatten. Die Schreibweise gab Christa recht. Ich war begeistert.
    Malmédy war bloß ein Name. Malmedy aber klang genauso wie mal-me-dit, Böses verheißend.
    Und diese Reise verhieß in der Tat nichts Gutes. Sie war dennoch richtig, weil sie unabdingbar war. Die Situation war nicht mehr zu halten, ich mußte mehr über Christa herausfinden.
     
    Der Schnee, der in Brüssel nicht fiel, lag in Malmedy. Ich trat aus dem Bahnhof und ließ mich treiben. Das hatte etwas Berauschendes.
    Aus einer metaphysischen
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