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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen
Autoren: Amélie Nothomb
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sie mit »haben« gemeint haben könnte.
    Es war geschickt von Christa, die Vorwürfe, die sie uns machte, vor uns geheimzuhalten. Die meisten Verbrechen, die uns zur Last gelegt wurden, waren uns völlig unbekannt. So erschienen sie uns nur noch abartiger.
    Wer an der Uni oder anderswo unsere Schandtaten verbreitete, glaubte wohl genausowenig an unsere Unschuld wie an unser Unwissen. So spielten sie ungewollt ein besonders gemeines Spiel mit uns: Es ging darum, uns die gerechte Scham für Verbrechen einzuflößen, deren Gewicht wir nicht ermessen konnten – war es Diebstahl? Mißbrauch? Mord? Nekrophilie? –, und zwar mit dem erklärten Ziel, daß wir endlich Klarheit verlangten.
    Wir hielten uns gut, obwohl es nicht leicht war, besonders für mich, weil ich außerhalb der Uni niemanden kannte. Ich hatte unglaubliches Pech gehabt: Da fand ich nach sechzehn Jahren meine erste Freundin, und die erwies sich als metaphysische Prüfung. Und ich ahnte, daß meine Prüfung noch nicht vorbei war.
     
    Wie weit würde Christa noch gehen? Die Frage ließ mich nicht schlafen.
    Trotzdem war ich ebenso überzeugt wie mein Vater, daß wir Ruhe bewahren mußten. Nichts könnte mich befreien außer einer aufsehenerregenden Aktion, und schon gar keine Worte. Sie hätten nur weitere Angriffspunkte geliefert. Schweigen war mein bester Schutz. Die Verleumdungen glitten an mir ab wie an einem Stück Seife.
    Christa ließ sich dadurch leider nicht entmutigen. Sie gab einfach nicht auf. Jetzt blieb nur noch die aufsehenerregende Aktion. Mir fiel bloß keine ein.
    Wenn ich sie wenigstens durchschaut hätte! Aber ich sah nur ihre Absichten, ohne sie zu verstehen. Mir war noch immer nicht klar, warum sie uns so belogen hatte. Allein mit ihrem Charme hätte sie uns spielend einwickeln können. Aber sie log nur noch mehr.
    War sie so von Selbstzweifeln zerfressen? Glaubte sie, daß sie so perfider Tricks bedurfte, um anderen zu gefallen? Das wäre fast mitleiderregend gewesen, hätte sie es nicht für notwendig gehalten, anderen zu schaden. Respekt vor der Wahrheit war nicht mein oberstes Ziel, und harmlose Lügengeschichten hätten mich nicht gestört. Detlev als düsterer Held zum Beispiel wäre ein rührendes Märchen gewesen, hätte es nicht ausschließlich dazu gedient, mich klein zu halten. Christas Problem war, daß sie nur in Kategorien der Macht denken konnte.
    Mich widerte so etwas an. Vielleicht war das auch der Grund dafür, daß ich nie einen Freund oder eine Freundin gehabt hatte. Auf dem Gymnasium und anderswo hatte ich zu oft mit angesehen, wie der hehre Begriff der Freundschaft mit obskuren Machtverhältnissen einherging, mit Herrschern und Beherrschten, systematischer Erniedrigung, Aufstand und Unterwerfung sowie Schuldzuweisungen an Sündenböcke.
    Für mich war Freundschaft ein erhabenes Ideal: Orest und Pylades, Achill und Patroklos, Montaigne und La Boétie waren meine Vorbilder. Wenn ich nicht um meiner selbst willen geliebt wurde, brauchte ich keinen Freund. Wenn in der Freundschaft der Hauch einer Gemeinheit Platz fand, der kleinste Anflug von Rivalität, der leiseste Schatten von Neid oder auch nur der Schatten eines Schattens, konnte ich darauf verzichten.
    Wie hatte ich mir bloß einbilden können, Christa gehe es um mich? Ich schämte mich, daß ich mich so leicht hatte täuschen lassen. Daß in meiner Seele diese erschreckende Bereitschaft dagewesen war, mich ihr zu Füßen zu legen.
    Aber ich war auch stolz darauf. Sie hatte mich nur so leicht täuschen können, weil ich einen Moment lang liebte. »Lieben, nicht hassen ist mein Teil«, sagt die Antigone des Sophokles. Es ist das Schönste, was je gesagt worden ist.
     
    Christas Verleumdungskampagne nahm allmählich die Dimension eines versuchten Rufmords an. Manchmal fand ich es fast zum Lachen, wenn ich mir ausmalte, welch sagenhafte Gebräuche man der Hast-Sekte zuschrieb.
    Ich fühlte mich wichtiger als in meinen kühnsten Träumen. Ich, die sich stets für das Mauerblümchen der politikwissenschaftlichen Fakultät gehalten hatte, war zum Mittelpunkt des Interesses avanciert.
    »Verpiß dich, du Schwein!« schrie mich ein Kommilitone an.
    Das Schwein leistete Widerstand. Die Studenten mußten meine unerträgliche Anwesenheit ertragen. Manchmal nahm ich es mit Humor und setzte einen Menschenfresserblick auf, der seine bescheidene Wirkung nie verfehlte.
    Meist machte mich das nur noch depressiver.
     
    Unglück ist immer auch zu etwas gut. Ich hatte mir mein
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