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Boese Maedchen sterben nicht

Boese Maedchen sterben nicht

Titel: Boese Maedchen sterben nicht
Autoren: Kim Harrison
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wanderte zur Straße und den dort parkenden Autos. Plötzlich wurde mir klar, dass seine grummelige Laune nicht daher rührte, dass Nakita ihm misstraute, sondern daher, dass er überhaupt lautlos mit mir kommunizieren konnte. Denn das bedeutete, dass er kein weißer Todesengel mehr war. Er wechselte unaufhaltsam auf die dunkle Seite über, zu mir. Dass ein weißer Todesengel seine jahrhundertelang gehegten Überzeugungen über den Haufen geworfen hatte, um mir ins feindliche Lager zu folgen, war ein überwältigender Gedanke. Wenn ich Nakita und ihn nur dazu bewegen könnte zusammenzuarbeiten, um das Leben und die Seele einer Zielperson zu retten, dann könnte ich vielleicht auch die Seraphim davon überzeugen, dass mein Weg der richtige war, und es würde keine Vollstreckungen mehr geben. Wenn, wenn, wenn. Und wenn ich das nicht schaffte, dann würde ich, sobald ich irgendwo zwischen dem, was war, und dem, was sein würde, meinen Körper gefunden hätte, meinen Job an den Nagel hängen und wieder ganz normal, lebendig, weitermachen. Und nichts mehr mit Todesengeln, Zeitwächtern und Schutzengeln zu schaffen haben.
    Aber der Gedanke erschien mir nicht mehr so verlockend wie noch vor gar nicht langer Zeit. Ich wollte, dass das hier funktionierte. Unbedingt.
    Josh stand auf, nahm seine Sporttasche und blickte besorgt von Nakita zu Barnabas. Die Spannung zwischen ihnen war ihm nicht entgangen. »Hey, ähm, ich gehe mal hinter die Gruft da, mich umziehen, okay? Bin gleich wieder da.« Er drehte sich um und ging zu einem kleinen Mausoleum in der Nähe, dessen Mauern durch Alter und Vernachlässigung ganz grau geworden waren. Wie ich ihm so nachsah, befand ich, dass er gut aussah. Selbstbewusst.
    Zwei Jungs, die den Friedhof als Abkürzung nutzten, rasten auf ihren Fahrrädern an ihm vorbei. Der Schultag war zu Ende und ich wandte mich wieder zu den Bussen um, Schülergeschrei drang zu uns herüber. Nakita neben mir trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Jetzt spürte auch ich die Spannung und stieß mich von dem Grabstein ab. Ich klopfte mir ein paar Steinchen vom T-Shirt und hielt weiter nach Schwarzflügeln Ausschau.
    Das hier fühlte sich wie eine richtige Vollstreckung an. Ich hatte einen Zeitsprung gemacht. Dann hatte ich diesen Ort aufgespürt und versuchte jetzt, die Zielperson zu finden. Wenn ich meinen Vorsprung verspielte, würde jeden Moment ein weißer Engel auftauchen, um mich aufzuhalten. Es war egal, dass unsere Absichten - das Leben der Zielperson zu retten - dieselben waren. Bevor ein weißer Todesengel ihr einen Schutzengel verpasste, würde Nakita Tammy töten. Ihr Leben opfern, um ihre Seele zu retten. Was für ein mieser Grund, um zu sterben.
    »Barnabas«, sagte ich, mit den Gedanken noch immer bei Grace. »Meinst du, ich sollte Grace rufen?« Ich mochte Grace, aber sie war auch meine Verbindung zu den Seraphim und die Tatsache, dass sie jetzt nicht hier war, konnte bedeuten, dass sie sehen wollten, ob ich es auch ohne die Hilfe des kleinen Schutzengels schaffte. Sie war so nah am Göttlichen, dass ich die meiste Zeit über nicht viel mehr als das Glühen ihrer Flügel sehen konnte. Grace hielt sich für eine Dichterin. Nakita, Barnabas und ich konnten ihre glöckchenartige Stimme hören, aber außer uns niemand. Möglicherweise war das der Grund dafür, dass Josh sich als Einziger von uns zu freuen schien, wenn sie auftauchte.
    »Besser nicht«, erwiderte Barnabas und sein verschlossener Gesichtsausdruck beunruhigte mich immer mehr. »Ich sehe mal in der Wohnung nach.«
    »Danke«, sagte ich leise und er marschierte davon, um sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, wo er seine Flügel hervorzaubern und sich in die Luft erheben konnte.
    »Ich dachte schon, er würde gar nicht mehr gehen«, maulte Nakita.
    »Ach komm schon«, beschwor ich sie, während ich mich rückwärts auf den hohen Zaun zubewegte, der uns von der Straße trennte. »Barnabas ist in Ordnung. Gib doch einfach zu, dass du bloß sauer bist, weil er sich in einen schwarzen Engel verwandelt, und find dich endlich damit ab.«
    »Der?« Sie lachte auf. »An dem Tag, an dem Barnabas ein schwarzer Todesengel wird, küsse ich sein Amulett.«
    Schweigend beobachteten wir, wie die Schüler aus dem Schulgebäude strömten. Jeder Einzelne von ihnen schien ein festes Ziel zu haben. Ob es Nakita nun bewusst war oder nicht, sie selber begann, eine neue Sicht auf die Dinge zu entwickeln. Als wir uns das erste Mal begegnet waren, war sie ein
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