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Boese Maedchen sterben nicht

Boese Maedchen sterben nicht

Titel: Boese Maedchen sterben nicht
Autoren: Kim Harrison
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was wie einen Lehrer gehabt. Eigentlich sollte man ja meinen, dass die Seraphim die Sensenkommandos auch selbst erteilen könnten. Aber wie es aussah, hatten Engel so ihre Schwierigkeiten damit, zwischen dem, was ist, dem, was war, und dem, was sein würde, zu unterscheiden. Darum musste ein Mensch her, der verstand, was Zeit war. Und wie es der Zufall wollte, war ich nun für die schwarzen Engel zuständig, die die Leute vorsichtshalber umbrachten, bevor diese ihre eigene Seele vergiften konnten. Ich wäre lieber auf der hellen Seite bei den anderen gewesen, die versuchten, dieses ganze Gemetzel zu verhindern, aber so ist eben das Leben.
    Stimmen drangen durch den blauen Nebel und verklangen wieder, während ich darauf wartete, dass die Zukunft mich einsog. »Madison, du kannst ja auch im Low D üben«, schlug Nakita vor und trat gegen den Zaun, dass es schepperte. »Die Ablenkung da ist vielleicht gar nicht so schlecht. Kein Wunder, dass sie bei dir keine Fortschritte macht, Barnabas, wenn du immer nur nachts auf dem Dach mit ihr trainierst.«
    Ich umschlang meine Knie, aus Angst, mich zuckend auf dem Boden wiederzufinden, wenn ich mich bewegte. Der Augenblick, in dem eine Seele zu sterben beginnt, ist traumatisierend. Darum dringt die Resonanz dieses Augenblicks durch alle Zeitebenen und löst die Zeitsprünge aus. Je weiter der Moment in der Zukunft liegt, desto verschwommener ist die Vision und du siehst nur ein trübes Nichts und hörst gedämpfte Stimmen. Wenn ich tatsächlich als erste Zeitwächterin diesen Zeitsprung machte, würde mir das also nicht unbedingt einen Vorteil verschaffen. Ron, der helle Zeitwächter und damit mein Konkurrent, würde die Vision vielleicht später haben, dafür aber klarer, und wenn ich Pech hatte, würde er mir die Vollstreckung vor der Nase wegschnappen.
    »Äh, Leute?«, flüsterte ich und keuchte auf, als plötzlich der ganze Sportplatz mit den Läufern, Trainern und den blauen Gartenstühlen darauf von einer Szene überlagert wurde, die sich womöglich Hunderte von Meilen entfernt und wahrscheinlich erst in ein paar Tagen abspielte. Und obwohl ich mich an die warme, geriffelte Oberfläche der Aluminiumbank klammerte, stand ich zur gleichen Zeit auf einem mit Kreide bemalten Bürgersteig und starrte auf ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus. Vor mir parkten ein paar alte Autos und hinter mir erstreckte sich eine große Straße, auf der der Verkehr zum Stillstand gekommen war. Am Rand meines Gesichtsfeldes und um jede Person waberte blauer Nebel wie eine zweite Aura.
    Das Haus brannte und die Nacht war ein schreckliches Gemisch aus Orange und Schwarz. Die Flammen schlugen hoch in die Luft und erleuchteten eng beisammenstehende Nachbarn, bellende Hunde und schreiende Menschen. Feuerwehrautos spuckten nach Diesel stinkende Wolken auf die Straße, die mir die Knoche! wärmten. Tosen. Alles um mich herum schien zu tosen. Dann wurde mir klar, dass es das Blut in meinem Kopf war, und mein Herz zog sich zusammen.
    Johnny ist noch da drin.
    Der Gedanke hallte durch unser gemeinsames Bewusstsein. Angst - die des Mädchens, in dessen Körper ich steckte - erfüllte mich und gleichzeitig spürte ich, wie ich zitternd auf der Tribüne stand. Ich war mitten in einem Zeitsprung und erlebte den Albtraum eines anderen Menschen. Dies war der Moment, in dem die Seele des Mädchens zu sterben beginnen würde, in dem so etwas Schreckliches passieren würde, dass sie vergaß, wie man weiterlebte. Und ich war diejenige, die ihr vielleicht helfen konnte.
    »Johnny!«, schrie ich und Nakita fuhr zu mir herum. Ich sah das Entsetzen in ihrem Gesicht, während gleichzeitig hinter ihr das Bild des brennenden Hauses kräftiger wurde und mit der Realität des Sportplatzes verschmolz.
    »Sie macht einen Zeitsprung«, hörte ich Barnabas sagen und seine Hand schloss sich um meinen Arm, als ich losrennen wollte wie das Mädchen, in dessen Bewusstsein ich geschleudert worden war.
    In meiner Vision rannte ich zwischen den Autos hindurch und schlug ein paar Haken um die Feuerwehrleute, die mich aufhalten wollten. Der blaue Dunst stieg wie Nebel von den einzelnen Leuten auf. In der Wirklichkeit fühlte ich mein Herz hämmern, während ich meine Knie steif machte, bis sie zitterten, um nicht auch loszulaufen. Ich habe Johnny allein gelassen. Er hat geschlafen. Ich habe gewartet, bis er schlief, nachdem Mont zur Arbeit gegangen ist. Oh Gott, Mom wird mich umbringen, wenn sie das rausfindet! Ich verstehe das nicht.
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