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Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht
Autoren: James Bown
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Konsequenzen.
    Im Schnelldurchgang zehn Jahre vorgespult zu meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag: Da war ich bereits einer von vielen anonymen Obdachlosen in London. Vielleicht war ich in einem Hostel, aber ich könnte die Nacht auch in einer finsteren Gasse in der Nähe von Charing Cross unter freiem Himmel verbracht haben. Ich war ganz unten, Tag und Nacht betäubt und vollgedröhnt, das logische Denken war ausgeschaltet. Die Tage, Wochen, Monate und Jahre waren ein unentwirrbarer Mischmasch aus Erinnerungsfetzen. Falls mir an diesem Tag bewusst war, dass ich Geburtstag hatte, habe ich vielleicht um Geld gebettelt, mir welches geborgt oder wahrscheinlich sogar gestohlen, um mir eine Extraportion Heroin zu genehmigen. Dabei habe ich, wie so oft, russisches Roulette für Junkies gespielt und mit einem Extra-Schuss eine Überdosis riskiert. Ich hätte jederzeit genauso enden können wie der Unbekannte auf meinem Flur.
    Inzwischen waren wieder zehn Jahre vergangen, und mein Leben hatte sich endlich zum Guten gewendet. Es war ein neues Leben in einer anderen Welt. Ich kann kaum glauben, dass ich diese zehn Jahre Sumpf überlebt habe. Trotzdem sind auch sie ein Teil meines Lebens und somit ein Thema in meinem Buch. Ich wollte nichts beschönigen. In meinem Buch stand nichts als die Wahrheit, und das war der Grund, warum ich bereits viele Stunden vor der Veranstaltung ein Nervenbündel war.

    Am frühen Nachmittag hatten Bob und ich einen Termin mit einem Fotografen der internationalen Nachrichtenagentur Reuters. Er wollte eine Fotoreihe über unseren Alltag machen. Bus- und U-Bahnfahren, Gitarre spielen auf der Neal Street und Ähnliches. Ich war wirklich froh über die Ablenkung. Als wir fertig waren, machte ich mich auf den Weg nach Islington.
    Als wir an der U-Bahn-Station Angel nach oben kamen, lag feuchter Nebel in der Luft. Mein Nachfolger von The Big Issue war nirgends zu sehen. Einer der Blumenhändler erzählte mir, dass der Mann und sein Hund viel Mist gebaut hatten und den Platz schnell wieder abgeben mussten. Es gab jetzt niemanden mehr, der an der Angel The Big Issue verkaufte.
    »Was für eine Verschwendung«, bedauerte ich. »Ich habe diesen Platz aufgebaut, hier kann man gut verdienen.« Aber das ging mich nichts mehr an, und ich hatte gerade ganz andere Sorgen.
    Um zur Buchhandlung zu gelangen, durchquerten wir immer den Islington Memorial Park. Wir waren früh dran, also ließ ich Bob noch ein bisschen herumschnüffeln und ein Plätzchen für sein Geschäftchen finden. Solange setzte ich mich auf eine Bank und zündete mir eine Beruhigungszigarette an.
    Meine Gemütslage war gespalten. Einerseits fühlte ich mich wie ein Verurteilter, der einen letzten, kurzen Genuss auskostet, bevor er sich dem Exekutionskommando stellen muss. Andererseits war ich voller Vorfreude. Es kam mir vor wie ein Neustart. Als würde gleich ein neues Kapitel in meinem Leben beginnen.
    Ich hatte schreckliches Lampenfieber. Meine Gedanken überschlugen sich. Was, wenn keiner kommt? Was, wenn viele Leute kommen und das Buch schrecklich finden? Wie würde Bob in dieser Situation auf fremde Menschen reagieren? Wie würden sich die Leute mir gegenüber verhalten? Ich war kein Vorzeige-Autor, kein aufgestylter Publikumsliebling. Meine Welt war immer noch am Rande der Gesellschaft. Oder zumindest sah ich das so. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass alle Leute Bob lieben würden. Aber ich zitterte vor Angst, dass sie mich hassen könnten.
    Ich nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette. Meine flatternden Nerven hatten meine Muskeln so verhärtet, dass ich mich wie ein angeschlagener Boxer fühlte.
    Zum Glück war Bob cool genug für uns beide. Eifrig grub er ein Loch an seiner Lieblingsstelle und kam dann zu mir zurück. Er schenkte mir einen seiner mysteriösen Blicke, als wollte er sagen: »Es ist okay, Kumpel, alles ist gut!«
    Es war fast unheimlich, aber auch diesmal schaffte es mein Rotpelzchen, dass seine Magie auf mich übersprang und ich mich etwas beruhigte.
    Eine halbe Stunde vor dem Termin erreichten wir die Buchhandlung. Vier oder fünf Leute hatten sich schon angestellt. Oh, gut! Wir werden nicht allein sein , freute ich mich im Stillen. Alle lächelten uns an, und ich winkte ihnen zu, weil ich vor Verlegenheit nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich konnte kaum glauben, dass jemand eine Stunde seines Feierabends opferte, um uns zu treffen. In der Buchhandlung standen auch ein paar Leute. Sie hatten sich an der Kasse
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