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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner
Autoren: James Bowen
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ganze Zeit da, aber ich habe ihn nicht gesehen. Soll ich oben nachfragen?« Sie griff nach dem Telefon und wählte.
    »Habt ihr bei euch oben eine rote Katze gesehen?« Noch während der Kollege am anderen Ende sprach, schüttelte sie bedauernd den Kopf. »Es tut mir so leid«, wandte sie sich beim Auflegen wieder an mich. »Aber wenn er auftaucht, behalten wir ihn auf jeden Fall hier«, versicherte sie mir.
    »Danke«, brachte ich mühsam hervor.
    Als ich wieder auf der Straße stand, versetzte mir ein Gedanke einen Keulenschlag in den Magen: Ich hatte ihn verloren.
    Ich war völlig fertig. Benommen schlurfte ich die Essex Street hinunter. Aber ich hatte es aufgegeben, weiter nach ihm zu suchen.
    Es war der Weg, den wir jeden Tag gemeinsam zur Arbeit und auch zurück nach Hause gingen. Als ich das Busschild mit der Aufschrift »Tottenham« sah, kam mir eine Idee. Er würde doch nicht …? Oder doch?
    An der Haltestelle stand ein Ticketkontrolleur, und ich fragte ihn: »Entschuldigung, haben Sie vielleicht eine rote Katze gesehen, die in einen Bus gesprungen ist?« Ich hätte es Bob zugetraut, aber der Mann starrte mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob ein Außerirdischer den Bus Nr. 73 bestiegen hätte. Er schüttelte den Kopf und drehte sich weg.
    Ich wusste, dass Katzen einen hervorragenden Orientierungssinn haben. Es gab viele Geschichten, wie Katzen über große Entfernungen wieder nach Hause gefunden hatten. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bob nach Tottenham zurückfinden würde. Das waren über fünf Kilometer durch die unwegsamsten Bezirke von London. Wir hatten die Strecke noch nie zu Fuß zurückgelegt, sondern immer mit dem Bus. Diese Möglichkeit kam nicht in Betracht.
    Die nächste halbe Stunde war eine Achterbahn der Gefühle. Ich schwankte zwischen Hoffnung und Resignation. Zuerst war ich überzeugt, dass er bald von jemandem gefunden und erkannt werden würde. Viele Leute aus der Gegend, in der er entlaufen war, kannten ihn. Aber auch, wenn er einem Fremden zulaufen wäre, standen die Chancen gut. Hauptsache, der Finder hatte schon mal von Mikrochips für Haustiere gehört. Jeder Tierarzt kann die Daten von gechippten Tieren über die Datenbank-Zentrale abfragen.
    Aber sobald ich mich damit getröstet hatte, stürzten mich wilde Horrorszenarien in tiefe Verzweiflung. Was, wenn genau so etwas vor drei Jahren passiert war? Was, wenn ein solcher Zwischenfall dazu geführt hatte, dass Bob sich damals ein neues Zuhause gesucht hatte, als ich ihn auf der Fußmatte in meinem Mietshaus fand? Ich war total hin und her gerissen.
    Mein Verstand sagte: »Es geht ihm gut und du kriegst ihn wieder!« Aber da war auch diese unbeschreibliche Angst, eine monotone Stimme, die in meinem Kopf dröhnte: »Er ist weg. Du wirst ihn nie wiedersehen!«
    Über eine Stunde rannte ich die Essex Road rauf und runter. Inzwischen war es stockdunkel geworden, und die Autoschlange des Feierabendverkehrs hatte sich bis hinunter zur Islington High Street festgefahren.
    Ich war ratlos und völlig hilflos. Ohne wirklich darüber nachzudenken, schleppte ich mich in Richtung Dalston. Meine Freundin Belle wohnte dort in der Nähe. Warum sollte ich nicht zu ihr gehen, ein anderes Ziel hatte ich momentan nicht mehr.
    In einer Seitengasse sah ich die Umrisse eines Katzenschwanzes. Schwarz und dünn, ganz anders als der von Bob, aber ich war so verzweifelt, dass ich mir einredete, es könnte Bob sein.
    »Bob«, brüllte ich und hechtete um die dunkle Ecke, aber da war nichts. Ich hörte ein Miauen, aber es klang nicht wie Bob. Trotzdem lauschte ich angestrengt in die Dunkelheit. Erst nach ein paar Minuten gespenstischer Stille ging ich weiter.
    Inzwischen hatte sich der Stau aufgelöst. Es war ungewohnt still. Der Himmel war voller Sterne. Kein Vergleich mit dem australischen Nachthimmel, aber doch ziemlich beeindruckend. Noch ein paar Wochen zuvor hatte ich glücklich unter dem Sternenzelt von Tasmanien gesessen. Ich hatte dort allen erzählt, dass ich nach London zurück müsste, weil ich für Bob Verantwortung übernommen hatte. Das hast du wirklich gut hingekriegt , schimpfte und fluchte ich.
    Vielleicht hätte ich nicht nach Australien fliegen sollen. Konnte es sein, dass meine sechswöchige Abwesenheit die starke Bindung zwischen Bob und mir zerstört hatte? Vielleicht hatte ich in seinen Augen meine Aufsichtspflicht vernachlässigt, und er hatte sein Vertrauen in mich verloren? Hatte er in dem Moment, als der Rottweiler
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