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Blutspur des Todes

Blutspur des Todes

Titel: Blutspur des Todes
Autoren: Alex Kava
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Fragen zu stellen? Seinetwegen war sie von ihrem täglichen Ritual abgewichen, das für sie zu einer Art Ersatzdroge geworden war. Zuerst hatte sie sich das Rauchen abgewöhnt und das Nikotin durch Kaffee ersetzt. Vier Tassen am Morgen hatten ihr über den Nikotinentzug hinweggeholfen, und nun ersetzte ein drei Meilen langer Fußmarsch jeden Morgen das Koffein.
    Sie hatte selbst erkannt, dass bei ihr eine Sucht die andere ablöste. Jeden Tag ging sie dieselbe Strecke, immer zur selben Zeit und sogar im selben Tempo. Aber jetzt musste sie einen Schritt zulegen, um nachher pünktlich zu sein. Sie fand sich damit ab, aber eine kürzere Strecke wollte sie seinetwegen nicht gehen. Sie straffte die Schultern, als sei dieser trotzige Gedanke bereits eine Auflehnung gegen ihren Bruder. Früher hatte sie es nie geschafft, sich gegen ihn durchzusetzen. Aber Jared musste doch endlich begreifen, dass sie nicht mehr das kleine Mädchen war, das er einfach so herumkommandieren konnte. Sie war eine erwachsene Frau, hatte einen Sohn. Sie hatte sich dem Leben gestellt, während es ihr vorkam, dass Jared nie erwachsen wurde. Nach seiner Entlassung war er sogar wieder zu ihrer Mutter gezogen.
    Etwas Dümmeres hätte er kaum tun können. Dass ihre Mutter nicht einfach nur abergläubisch, sondern verrückt war, hatten sie schon als Kinder festgestellt, als sie anfing, sich der schwarzen Magie hinzugeben. Vielleicht erklärte das, warum sie an diese beiden Drecksäcke geraten war, von denen der eine ihr und der andere Jareds Vater war. Dass ihre Mutter durchgedreht war, ertrug Melanie leichter als eine andere Erkenntnis, die nicht weniger zutreffend war. Sie war schlicht und einfach stockdumm. Vielleicht war das der Grund für Jareds Problem. Ihr kam die Idee, ihn damit aufzuziehen, dass er nicht nur die verrückten Gene ihrer Mutter geerbt habe. Und sie wusste sofort, dass sie niemals wagen würde, ihn zu provozieren.
    An der Nicholas Street bog Melanie links in die 52. Straße ab. Sie mochte die Gegend um den Memorial Park, ein Viertel mit großen Stadtvillen und gepflegten Rasenflächen. Kein Gartenzwerg weit und breit. Sie musste schmunzeln, als sie an den jüngsten Tick ihres Sohnes dachte, Gartendekorationen zu klauen, was sie gleichermaßen ärgerte wie amüsierte. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Und schließlich hatte sie ihm eine Menge beigebracht. Solange er noch klein war, hatte sie ihre gemeinsamen Diebestouren als Spiel ausgegeben. Jetzt wurmte es sie, dass Charlie das Stehlen ungeachtet aller Risiken und Gefahren offenbar immer noch als ein Spiel ansah. Er war wirklich ein guter Schüler gewesen, vielleicht sogar zu gut.
    Er war gerade acht, als sie ihn das erste Mal mitgenommen hatte. In dem Supermarkt an der Center Street klauten sie aus der Tiefkühltruhe Hackfleisch-Packungen – arbeiteten sich aber schnell zu T-Bone-Steaks hoch – und ließen sie in seinem Schulranzen verschwinden. Charlie war bald so geschickt, dass sogar sie nicht merkte, wie er die Twinkies oder Bazooka-Kaugummis mitgehen ließ, bis sie später neben ihrer Beute auf dem Küchentisch landeten.
    Er war wirklich ein Naturtalent. Mit seinem blassen Babygesicht und dem leicht schiefen Lausbubengrinsen kam er selbst heute noch, neun Jahre später, fast immer durch.
    Sie hatte damit angefangen, weil sie sich mit ihren lausigen Gelegenheitsjobs nicht über Wasser halten konnte. Um zu überleben. Und was machte es schon, wenn Charlie diese albernen Gartenzwerge stahl, solange er auch genügend Lederjacken oder CD-Player anschleppte, damit sie die Miete zahlen konnten. Er schien den Nervenkitzel zu brauchen, und so sagte sie auch nichts, als er damit anfing, Autos kurzzuschließen, bevorzugt Saturns. Auch so ein Tick.
    Vielleicht war es seine sorglose Unbefangenheit, die ihn davor bewahrte, geschnappt zu werden. Sie fürchtete allerdings, es hatte mehr mit Glück zu tun. Ihre Glückssträhne hielt nun schon eine ganze Weile, aber eines Tages würde sie zu Ende sein. Doch diesen Gedanken verscheuchte sie lieber.
    Glück und günstige Gelegenheiten, das waren ihre Fahrkarten aus dem stinkenden Drecksloch gewesen, in dem sie aufgewachsen war. Vor zehn Jahren war sie nach Dundee gezogen, ein netter Stadtteil, in dem überwiegend Familien wohnten. Es war ein gutes Viertel, wenn auch längst nicht so nobel wie dieses hier, dachte sie und sah sich um. Ob die Menschen, die hinter diesen großen, imposanten Türen lebten, sie verstehen könnten? Wohl
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