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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen
Autoren: Norbert Horst
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oder halt zur Polizei.« Sie bleibt stehen, Blick in den Himmel, zwei Sekunden ganz weit zurück. »Aber nach dem Krieg war zu Hause halt kein Geld da fürs Studium.« Sie sieht herüber, an ihrem Lächeln klebt letzte Traurigkeit. »Und bei der Polizei hatten Frauen damals noch nichts verloren. Aber Schneiderin war ja auch ein anständiger Beruf.« Sie zieht ihren Schlüsselbund aus der Handtasche, schließt auf, Knopfdruck, Licht.
    »Ich glaube, Frau Gierth«, sie bleibt stehen, wendet den Kopf, »wir hätten Sie ziemlich gut bei uns gebrauchen können.«
    »Ja, ja, Sie Schmeichler.« Ihre Hand auf dem Unterarm, zärtliches Streicheln.«Danke, dass Sie eine alte Frau glücklich ins Bett schicken wollen...«
    »... alte Frau...?«
    »... nur nicht übertreiben!« Sie steht auf den ersten Stufen.
    »Mit Ihrer Schwester vorhin ist übrigens alles glatt gegangen. Sie hatten grad angerufen, da war sie schon da.«
    »Prima.« Ach, ja, Fußball. Ganz vergessen anzurufen. Kurz vor zwölf. Müssten jetzt auf dem Heimweg sein.
    Im Briefkasten Werbung.
    »Gute Nacht.« Sie hat gewartet, neugierig verschmitzter Blick.
    »Was gibt es denn morgen? Im Kino meine ich.«
    Sie kramt in ihrer Handtasche, sieht aufs Programm. »›Zwielicht‹. Kenn ich gar nicht.«
    »Ich glaub, der ist ganz gut, könnte Ihnen gefallen. Ist mit Richard Gere,’n schöner Mann.«
    »Na, dann.« Letztes Winken, sie geht nach oben.
    Hat gar nicht nach dem aktuellen Fall gefragt. Vergisst sie eigentlich nie.
    »Ach, Herr Kirchenberg...«

DONNERSTAG

07 Uhr 46
    Starkes Bremsen, die Schlaufe zieht am Handgelenk, es brennt. Ein Rentner mit Hut kann sich grad noch bei seiner Vorderfrau abstützen. Pferdeschwanz, Trenchcoat, Pumps, Sekretärin. Er murmelt was Entschuldigendes ohne Blickkontakt. Anfahren. Es riecht nach nassen Klamotten, filzig. Kaum Gerede. Von hinten quäkiges Ohrstöpselgedudel, HipHop. Zwei Teenies malen Figuren an die beschlagenen Scheiben, stehen auf, schieben sich zum Ausstieg. Halten, Tür auf, raus.
    Schirm wär nicht schlecht. Nah an den Häusern lang, die Markisen vor den Geschäften geben Schutz, alle paar Meter. Ein hagerer Langer mit Kapuzenshirt kommt entgegen, noch ein Meter, er weicht aus in den Regen. Verloren.
    Im Präsidium sind fast alle Fenster erleuchtet, zwei Streifenwagen rollen vom Hof. Schon wieder Licht in der Asservatengarage, wirklich früh dran, die beiden.
    Die Wärme wälzt noch die gleiche Mufflawine zur Tür raus, bis in die Nebenhöhlen. Beckmann sitzt mit ausgestreckten Beinen, alter Stuhl, den Kopf im Nacken. Ein Riss an der Schulter, rotes Dreieck im Weiß. Er blinzelt aus den Augenwinkeln ohne jede Bewegung.
    »Warum hat mein Alter bloß vergessen, reich zu werden?«
    »Denk mal an die fünf Millionen Arbeitslosen oder die Leprakranken in Indien...«
    »… oder die Kinder in Afrika, ja, ja, ich weiß: Mir geht es gut.« Ganz vorsichtig die Kaffeetasse zum Mund, langsam wieder zurück auf den Bauch. »Aber da hätt ich wenigstens mehr als vier Stunden Schlaf. Und wer braucht schon alle zehn Finger?«
    Binz kommt durch die Tür, kurzer Gruß, in der Linken auch einen Kaffee. Er geht zum Tisch in der Ecke, steigt in den Overall.
    »Habt ihr noch was Spannendes gefunden?«
    »Soll Uwe dir erklären.« Die Augen bleiben zu.
    Binz lächelt mitleidig, kommt aus der Ecke. »Wir sind ziemlich sicher, dass die Leiche in diesem Müllsack war. Genaues erst nach der DNA-Untersuchung. In der Rille unten an der Schweißnaht haben sich, wahrscheinlich durch statische Aufladung, vier ganz kleine Styroporkügelchen festgesetzt. Könnte sein, dass die vom Tatort sind, wir haben nämlich im ganzen Container kein Styropor gefunden.«
    Styropor? »Und der Müllsack ist normal?«
    Beckmann springt auf wie gestochen. »Ganz normales Ding aus dem Baumarkt, nur die stabile Version.«
    Könnte vorher was anderes drin gewesen sein. Was Verpacktes. Oder wofür nimmt man sonst Styropor? Einfach nur Müll? Auch möglich.
    Lagerhalle. Neonlicht, kriechende Kälte. Er zieht ihm die Hose von den Beinen, die Waden klatschen auf den Estrich. Grau, rissig, versifft. Die restlichen Klamotten noch, fesseln. Mit Mühe in den Müllsack. Beine anziehen, Keuchen vor Anstrengung, in den Rissen Dreck, Holzfasern, Reste von Styropor. Könnte sein.
    »Saßen die außen oder innen?«
    »Außen.«
    »Schade, innen wäre besser. Ist aber auch so ganz interessant.«
    Beide stehen breitbeinig, Kaffeetassen vor der Brust, sehen auf den Boden, müdes
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