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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder
Autoren: Sam Hayes
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wahrscheinlich muss ich mich bald eher um sie kümmern –, doch ich möchte ihnen zeigen, dass ich überlebt habe und was aus mir geworden ist. Ich will sie fragen, warum sie mein Baby zur Adoption freigeben wollten, warum sie mir nicht zutrauten, eine gute Mutter zu sein, und warum sie nie mitbekommen hatten, was Onkel Gustaw mir antat.
    Ich will, dass sie mich sehen und wieder als ihre Tochter annehmen. Nachdem ich mir das eingestanden hatte, nahm ich mir fest vor, in absehbarer Zeit einmal zu dem tristen Haus zu fahren, in dem ich mein Kind zur Welt gebracht habe. Ich versprach mir, wieder nach Hause zu gehen.
    Das Sozialamt erfuhr nie etwas von dem Missbrauch. Dennoch hatten diese ausführlichen ärztlichen Unterlagen einen enormen Wert für mich. Sie waren der Beweis dafür, dass ich damals mit einem einzelnen Kind schwanger war und der errechnete Geburtstermin in der ersten Januarwoche 1992 lag. Was anschließend mit mir geschah, interessierte den obersten Standesbeamten nicht weiter. Um eine – wenn auch verspätete – Geburtsurkunde ausstellen zu lassen, benötigte er nur diese Angaben, die ich jetzt vorlegen konnte. Dank Louisa.
    Zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Brighton rief ich sie an. Robert und ich kamen wieder besser miteinander aus, dennoch musste ich unbedingt mit ihr reden. Mir war klar, dass sie wusste, dass ich die E-Mail von James Hammond manipuliert hatte, und ich wollte sichergehen, dass dieses Wissen bei ihr gut aufgehoben war. Nie wieder wollte ich Gefahr laufen, Robert zu verlieren. Und außerdem wollte ich Louisa alles erklären.
    »Na hör mal«, sagte sie, »schließlich bin ich Detektivin. Da weiß ich auch, wann ich aufhören muss zu wühlen.« Anscheinend war es der Anblick von Ruby, Robert und mir, als wir eng umschlungen dastanden wie die Teile eines Puzzles, bei dem ihr plötzlich einiges klar wurde. »Es interessiert mich nicht, wer Ruby ist«, sagte sie. »Wichtig ist nur, was aus ihr werden kann.«
    Über ihre Gefühle für Robert sprach sie nicht. Das war auch nicht nötig.
    Also beauftragten Robert und ich Louisa damit, meine Arztberichte aufzutreiben. Mit dem, was damals zwischen mir und Onkel Gustaw geschehen war, fand sich Robert schließlich ab – er hatte im Laufe seines Arbeitslebens weiß Gott oft genug mit Fällen von Kindesmissbrauch zu tun gehabt – und er versucht auch so gut es geht, zu akzeptieren, wie mein Leben dann weiter verlief. Und ich gehe mittlerweile zu einer Therapeutin. Einmal die Woche, immer mittwochs.
    Und schließlich, ohne dass ich Robert etwas davon sagte, bat ich Louisa herauszufinden, was aus Ruby geworden ist. Meiner ersten Ruby.

    »Lass mich noch mal sehen«, bittet sie. Ich schiebe ihr das Album über den Tisch, wobei ich aufpasse, dass kein Dressing darankommt.
    »Mir war schon ein bisschen komisch dabei, heimlich ein junges Mädchen zu fotografieren«, sage ich und recke den Hals, um auch noch einen Blick auf die Bilder zu werfen. »Hier kommt sie gerade mit ihren Freunden aus dem Kino. Wir haben uns Oliver Twist angesehen …«
    »Wir?«
    »Ich saß hinter ihr, sah zu, wie sie Popcorn aß, und belauschte ihre Gespräche.« In Wahrheit bin ich ihr so nahe auf die Pelle gerückt, dass es ein Wunder ist, dass sie nicht die Polizei gerufen hat.
    Ich habe mich auf den ersten Blick in meine Tochter – meine leibliche Tochter – verliebt. Sie ist noch viel außergewöhnlicher, als ich gehofft hatte. Wie eine Löwin unter Katzen, eine schlanke Jacht, umringt von Ruderbooten, eine Orchidee in einer Wiese voller Gänseblümchen, ein Rubin in einer Schale mit Glasperlen.
    »Wirst du’s Robert erzählen?«
    »Was, dass ich mein Baby verloren habe?«
    »Du hast damals nicht nur dein Baby verloren, Erin, sondern auch den Verstand.« Mit einer abrupten Bewegung schlägt Louisa das Album zu. »Jemand hat dir dein Kind gestohlen und es einfach weggeworfen.«
    Sie rief mich im Laden an, ganz atemlos vor Aufregung. Knisternd drang ihre Stimme durch die Leitung. »Ich habe sie gefunden!«, sagte Louisa, und ich wunderte mich, wie einfach es gewesen war. »Sie lebt in London.« Der Schock war so groß, dass ich mich hinter dem Ladentisch setzen musste. Die ganze Zeit über war sie nur einen Katzensprung entfernt gewesen.
    Als wir uns das erste Mal in dem Café trafen, brachte Louisa die Zeitungsausschnitte mit. Es war damals wirklich die Nachricht des Tages gewesen, diese rührende Geschichte über das Baby im Müll. Ich hatte nur nichts davon
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