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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder
Autoren: Sam Hayes
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mitbekommen, weil ich weder Zeitungen las noch Fernsehen schaute. Ich hatte zu viel damit zu tun, Geld für mein krankes Kind zu verdienen.
    »Nach deinem Bericht war mir klar, dass es in der Zeitung gestanden haben musste, falls man dein Baby gefunden hatte.« Louisa strich sich eine feuerrote Strähne hinters Ohr.
    »Sie haben mir erzählt, es sei krank«, sagte ich noch einmal, damit Louisa nicht auf die Idee kam, ich selbst hätte mein Kind beiseitegeschafft. »Und dass ich sie wiederbekommen würde, sobald es ihr besser ging.« Aber warum rechtfertigte ich mich eigentlich? Ich war damals doch selbst noch ein Kind. »Sie haben behauptet, Ruby sei im Krankenhaus, und ich habe ihnen geglaubt.«

    5. Januar 1992
    Neujahrsbaby auf den Müll geworfen

    Gestern Nachmittag wurde in einer Mülltonne ein wenige Tage altes Mädchen gefunden. Ein Passant, der ungenannt bleiben möchte, hörte gegen drei Uhr das Baby schreien und rief die Polizei.
    Die Krankenschwestern gaben dem Kind, das zurzeit im St. Thomas Krankenhaus ärztlich betreut wird, den Namen Felicity, da es nach den Worten der Oberschwester »trotz seines Fehlstarts ins Leben ein fröhliches kleines Wesen« sei. Ein Sprecher der Polizei äußerte sich wie folgt zu dem Vorfall: »Wir haben die gesamte Umgebung des Fundortes abgesucht, können aber bislang keine Informationen an die Öffentlichkeit geben. Wir sind sehr besorgt um das Wohlergehen der Mutter und bitten sie dringend, sich zu melden.«

    Felicity, dachte ich, während ich vor ihrem Haus auf sie wartete. Es war kurz nach sechs Uhr morgens, und ich hatte Robert gesagt, ich wolle zu einer Fachmesse. Er versprach, sich um Ruby zu kümmern, während ich mich in Wahrheit daranmachte, dem Baby vom Müll nachzuspionieren.
    Das Haus, in dem Felicity wohnte, war hübsch und lag in einer gutbürgerlichen Gegend mit Bäumen und sauber gestutzten Hecken. Es war weiß gestrichen, mit unechten Fachwerkbalken, die sich kreuz und quer über die Fassade zogen, und wurde zu Weihnachten bestimmt mit jeder Menge Lichterketten geschmückt. Ein Volvo Kombi stand in der Einfahrt, und um Punkt zehn nach acht kam Felicitys Mutter aus dem Haus. Sie trug einen Stapel Schulbücher und rief etwas über ihre Schulter, um das Mädchen zur Eile anzutreiben.
    Mit ihrer ordentlichen Bob-Frisur und den vernünftigen Laufschuhen wirkte sie mütterlicher als ich.
    Dann kam Felicity heraus. Sie hatte ihre Schulkrawatte schief gebunden und trug eine schwarze Hose, deren Saum auf dem Boden schleifte. Sie sah aus wie jedes andere junge Mädchen auch – nur dass sie eben mein Mädchen war. Nachdem sie in aller Seelenruhe in den Volvo gestiegen war, brauste ihre Mutter mit ihr davon.
    Ich ließ den Wagen an und folgte ihnen dichtauf. Eine Viertelstunde später hielten wir vor der Schule und Felicity stieg aus, ohne ihrer Mutter einen Abschiedskuss zu geben.
    Ich habe dich zum Abschied auch nicht küssen können.
    An diesem Tag sah ich sie noch dreimal. Als es um halb elf zur Pause klingelte, marschierte sie an der Spitze einer Gruppe von fünf Mädchen über den Schulhof zu einem anderen Gebäude. Sie war die Größte, die Hübscheste und auch die Beliebteste, nach der Art und Weise zu urteilen, wie die anderen ihr wie eine Eskorte folgten. Nichts an ihr erinnerte an Onkel Gustaw. Ihr blondes Haar flatterte im kalten Wind.
    Zieh deinen Mantel an, junge Dame.
    Um die Mittagszeit schlenderten Felicity und ein anderes Mädchen zu der Imbissbude ein Stück die Straße hinunter. Ich stieg aus, um mir auch eine Portion schön fettige Pommes zu genehmigen. An die Wand gelehnt aß ich sie, während Felicity und ihre Freundin auf einer Bank saßen und sich Fisch und Pommes teilten. Ich konnte nicht alles verstehen, was sie sagten, aber sie lästerten über irgendwelche Jungen, bis sie sich vor Lachen krümmten und Cola durch die Nase prusteten.
    Mir wurde ganz warm ums Herz. Felicity war glücklich.
    Um halb vier sah ich sie noch einmal, als sie am Straßenrand auf ihre Mutter wartete. Ich war froh, dass Felicity abgeholt wurde und nicht, wie so viele andere Kinder, mit dem Schulbus fahren musste. Nachdem sie ihre Schultasche auf den Rücksitz geschleudert hatte, gab sie ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
    Ich blieb stehen und sah dem Wagen nach, bis er in der Ferne verschwand. Das nächste Mal würde ich einen Fotoapparat mitbringen.

    »Die Yorks sprachen ganz offen darüber. Sie nahmen sogar an einer Talkshow teil, in der es um die
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