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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder
Autoren: Sam Hayes
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»Und so etwas habe ich dir angetan?«
    Ich nickte. »Die Wunde war immer da, doch nie zuvor hat jemand darin herumgestochert.« Jetzt hatte er begriffen. Ich sah es daran, wie sich seine Augen verengten und dunkler wurden, während er seinen Blick über meinen Körper wandern ließ.
    »Aber jetzt kann diese Wunde doch endgültig heilen, nicht wahr?«, fragte er.
    Um nicht antworten zu müssen, rollte ich mich auf meinen Mann und lenkte ihn auf die einzige Art und Weise ab, die mir einfiel. Er drang in mich ein – als könnte er so die Antwort auf seine Frage finden und dann in einen geruhsamen Schlaf hinüber gleiten.

    Wir bestellen Panini mit Mozzarella, Basilikum, Rauke und einem Pest odressing, das mir beim Hineinbeißen über die Finger läuft. Louisa lacht.
    »Wisch dir mal das Kinn ab«, sagt sie und lächelt, als ihr das gleiche Missgeschick passiert. »Ist Rubys Geburtsurkunde angekommen?«
    »Ja, endlich«, antworte ich. »Das schmeckt gut!« Ich lecke mir über die Lippen, bevor ich weiterrede. »Die Urkunde kam vor ein paar Wochen. Robert hat sich um den ganzen Papierkram gekümmert.« Bei dem Gedanken, wie erleichtert ich war, als ich endlich das Dokument in der Hand hielt, muss ich seufzen. Dann zeigte ich es Ruby, als Beweis dafür, dass sie nun auch offiziell auf der Welt war. Lächelnd umschlang sie meine Taille und legte den Kopf an meine Schulter. Sie wird einmal sehr groß werden.
    »Und die Adoption?«
    »Das Verfahren läuft. Theoretisch benötigen wir die Einwilligung von Rubys leiblichem Vater, dass Robert sie adoptieren darf.« Während ich den Rest von meinem Panini auf den Teller lege, frage ich mich, was uns eigentlich das Recht gibt, Ruby zu behalten. Als ich sie damals in dem Schrank fand, glaubte ich wirklich, sie sei mein krankes Baby. Ich könnte verrückt werden, wenn ich mir ausmale, wie ihre richtige Mutter verzweifelt im ganzen Land nach ihr gesucht hat. Doch im Grunde meines Herzens weiß ich, dass Ruby einfach zurückgelassen wurde, so wie Becco mein erstes Kind einfach beseitigt hat. »Aber da sich mein Onkel an mir verging, seit ich vier war, und er jetzt sowieso tot ist, steht seine Erlaubnis gar nicht zur Debatte«, setze ich hinzu und zwinge mich zu einem Lächeln.
    Ich habe mich daran gewöhnt, mit Louisa über all das zu sprechen. Sie ist der einzige Mensch, der die ganze Wahrheit kennt. Langsam schaffe ich es auch, offener mit meiner Therapeutin zu reden, doch wenn ich ihr die Wahrheit erzählen würde, bestünde die Gefahr, dass man mir Ruby wegnimmt. Andererseits hätte ich ohne diese Therapie die vergangenen Wochen nicht überstanden. Und unsere Ehe hätte auch nicht gehalten. »Und wie ist es mit dir?«, frage ich. »Bleibst du noch ein bisschen hier?«
    »Ja, mit Willem«, erwidert sie und beißt herzhaft in ihr Brot.

    In jener Woche geschah eine Menge. Zunächst einmal bekam ich einen Preis für »Floristik taufrisch«. Schon komisch, wenn man bedenkt, dass ich gar nicht bei einem Wettbewerb mitgemacht hatte. Später stellte sich heraus, dass Baxter mich für einen landesweiten Floristenwettbewerb angemeldet hatte, bei dem mein Laden dann für die originellste Schaufensterauslage prämiert wurde. Mein Bild war sogar in der Zeitung. Diesmal habe ich den Ausschnitt aufbewahrt.
    Dann, eines Morgens, als der Herbst allmählich in den Winter überging und der Himmel sich wie eine eisige Glocke über der Stadt wölbte, winkte ich gerade der fröstelnden Ruby zum Abschied, als die Post gebracht wurde. Zusammen mit der Gasrechnung und einem Schreiben von der Bank kamen meine ärztlichen Unterlagen.
    Aus ihnen erfuhr ich, dass ich ein bemerkenswert gesundes Kind gewesen war. Doch dann, als ich fünfzehn war, brachen die Berichte auf einmal ab. Der letzte Untersuchungsbefund unseres Hausarztes stammt von dem Tag, als Mutter mit mir zu Dr. Brigson ging, weil ich so dick geworden war. Wenn ich zurückdenke, glaube ich, dass ich damals schon Bescheid wusste. Und Dr. Brigson offensichtlich auch.
    Deutlich erkennbare Narben und lokale Traumata im Vaginalbereich … Kind eindeutig verstört und nicht bereit/ in der Lage, über die Schwangerschaft zu sprechen … möglicherweise Vergewaltigung/ Missbrauch? Sozialamt verständigen …
    Während ich die Notizen überflog, wurde mir klar, dass ich Sehnsucht nach meinen Eltern hatte, wie ein Kind, das sich nach Geborgenheit und Anerkennung sehnt. Geborgenheit werde ich bei ihnen nicht mehr finden, dafür ist es zu spät –
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