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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee
Autoren: C Box
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und die Wärme des Bourbon, die sich langsam in ihm ausbreitete, linderte seine Niederlage nicht. Als sein Glas vor ihm stand, kippte er es hinunter und gab dem Barmann ein Zeichen. Der musterte Joe skeptisch, goss ihm aber einen weiteren Drink ein.
    Daheim war Abendbrotzeit, doch das kümmerte ihn nicht. Billardkugeln klackten im hinteren Teil der Bar; er hörte sie kaum. Ihm wurde klar, dass er Nate auf dem kurzen Weg von der Forstverwaltung zur Bar verloren haben musste, doch er hatte sich erst nach ihm umgewandt, als er auf dem roten Lederhocker saß. Er wollte nicht mehr denken. Er wollte noch einen Drink.
    Noch nie hatte er sich so als Versager erlebt. Er war ein schlechter Vater und ein schlechter Ehemann. Er hatte April nicht beschützt, und deshalb war sie nun tot. Sie war gestorben, weil sie nicht beschützt worden war – wie ein Tier, das die rauen Bedingungen des Winters nicht überlebt. Und in der Auseinandersetzung mit Melinda Strickland hatte er April nun ein weiteres Mal enttäuscht.
    Hätte ich mich anders verhalten, wäre es nicht um April, sondern um Sheridan oder Lucy gegangen? Hätte ich die Sache von vornherein offensiver angepackt, statt mich auf die Mühlen der Rechtsordnung zu verlassen, wenn eine meiner leiblichen Töchter im Lager gewesen wäre? Diese Fragen quälten ihn.

    Er musterte sein Spiegelbild und war sich durchaus nicht sicher, ob ihm gefiel, was er sah.

    »Warten Sie auf Ihre Frau?«
    Die Frage schreckte Joe aus seiner düsteren Stimmung, und er verschüttete seinen Drink. Rancher Herman Klein hatte ihn angesprochen. Joe war inzwischen beim fünften Glas, und die Lichter begannen, um ihn herumzuwandern.
    »Nein. Setzen Sie sich.« Joe merkte, dass er beim Wort »setzen« ein wenig gelallt hatte.
    Klein nahm Platz und nahm den Hut ab, um den Schnee abzuschütteln.
    »Ich bin froh über den Sturm«, sagte er, bestellte für sich Schnaps und Bier und spendierte Joe einen Drink. Joe ignorierte den skeptischen Blick des Barmanns, der den verschütteten Bourbon vom Tresen wischte. »Wir brauchen die Feuchtigkeit. Das hört sich nach diesem Januar seltsam an, doch es ist so.«
    Joe nickte. Er spürte ein Grummeln im Magen und fragte sich, ob er sich würde übergeben müssen.
    Sie tranken für kurze Zeit schweigend.
    »Warum haben Sie nach Marybeth gefragt?«, wollte Joe wissen.
    Klein hob die Brauen. »Weil ich Sie hier noch nie gesehen habe und Marybeth eine Straßenecke weiter aus ihrem Van gestiegen ist. Ich dachte, Sie würden sich mit ihr treffen.«
    Joes träges Hirn brauchte eine Weile, um die Nachricht zu verarbeiten. Dann war er verblüfft. Was mochte Marybeth in der Stadt wollen? Die Kinder waren seit Stunden aus der Schule zurück, und sie sollte bei ihnen sein. Suchte sie ihn? Immerhin hatte er sie nicht angerufen. Mehr noch: Er hatte
ihr kein Wort von dem Plan erzählt, den er mit Nate ausgeheckt hatte. Es kam nur selten vor, dass er sich nicht mit ihr beriet, doch er hatte den Eindruck gehabt, das könne sie im Moment wirklich nicht gebrauchen – genauer gesagt: Er könne es nicht gebrauchen … Da er ihre Gefühle kannte, war er etwas besorgt gewesen, wie weit sie bei Strickland hätte gehen mögen. Diese Entschlossenheit wollte er bei seiner Frau lieber nicht erleben, und deshalb hatte er ihr gar nicht erst die Möglichkeit dazu gegeben.
    »Wie lange ist das her?«, fragte er.
    Klein zuckte die Achseln. »Eine halbe Stunde etwa.«
    Joe hatte seinen Wagen vor der Forstverwaltung stehen lassen. Vielleicht hatte sie ihn auf dem Rückweg von der Bücherei dort entdeckt und angehalten. Oha!
    Ebenso hastig wie schwerfällig glitt er vom Hocker und schob den letzten Zwanziger über die Theke.
    »Ich muss los«, murmelte er und warf sich die Jacke um.
    »Soll ich Sie irgendwohin fahren?«, fragte Klein in Anbetracht von Joes Verfassung.
    »Nicht nötig.«
    Er tat, als hörte er Kleins Einwände nicht, und drängte sich leicht schwankend zur Tür durch.
    Er trat ins Dunkel, und seine Stiefel rutschten auf den zehn Zentimetern Neuschnee. Er zog den Hut tief in die Stirn, eilte die Straße hinab und knöpfte sich dabei die Jacke zu.
    Falls Marybeth seinen Pick-up vor der Forstverwaltung hatte stehen sehen, war sie womöglich hineingegangen. Ob Melinda Strickland noch dort gewesen war? Wenn ja, konnte Joe nur vermuten, was geschehen war. Noch nie habe ich eine Frau so gehasst – das hatte Marybeth gesagt. Aber Melinda Strickland hatte ihr Büro sicher gleich nach Nate und ihm
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