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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee
Autoren: C Box
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Sheridan.
    »Es geht um Verantwortung«, sagte er nach einer Pause. Darüber hatte er in letzter Zeit viel nachgedacht.
    »Was bedeutet das?«
    »Dass Menschen für ihre Taten verantwortlich sein sollen, ja müssen. Gedankenlosigkeit und Grausamkeit dürfen nicht ungestraft bleiben«, erklärte Joe und fragte sich, ob er nicht zu viel gesagt hatte. Sie sollte nicht denken, dass er auf Rache sann.
    Sheridan saß kurze Zeit schweigend da.
    »Wer ist dafür verantwortlich, dass ich ohne jeden Grund eine Schwester verloren habe?«
    Joe runzelte die Stirn. »Ich, jedenfalls zu einem gewissen Teil …«
    »Du doch nicht!«
    »Doch, Schatz, ich«, sagte Joe und starrte durch die Windschutzscheibe. »Ich habe sie nicht so beschützt, wie ich es hätte tun sollen. Ich hab sie nicht zurückgeholt.«
    »Dad!« Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Aber andere sind noch weit stärker verantwortlich«, setzte er hinzu.

    An diesem Abend läutete nach dem Essen das Telefon. Robey Hersig war am Apparat.
    »Joe«, sagte er.
    Joe war klar, dass etwas nicht stimmte. Es hatte keine Begrüßung, keinen Smalltalk, keine Erwähnung des aufziehenden Sturms gegeben.

    »Ja.«
    »Wir konnten vorab einen Blick in den Abschlussbericht der gemeinsamen Untersuchungskommission von FBI und Forstverwaltung werfen. Munker und Strickland werden nicht nur entlastet, sondern sogar belobigt. Das wird morgen offiziell.«
    Joe schloss die Hand so fest um den Hörer, als wollte er ihn zerquetschen.
    »Wie konnte das passieren, Robey?«
    »Joe, Sie müssen ruhig bleiben.«
    »Ich bin ruhig.«
    Er blickte auf. Marybeth hatte sich an der Spüle umgedreht und starrte ihn an. Offenbar verriet sein Gesicht, was los war. Ihre Miene gefror, und sie ballte die Fäuste.
    »Machen Sie keine Dummheiten«, sagte Hersig. »Wir wussten ja, dass diese Möglichkeit bestand. Wir zwei haben darüber gesprochen. Bei einer internen Ermittlung … tja, es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sie feststellen würden, die eigenen Leute haben Mist gebaut. Immerhin handelt es sich um Bundesbehörden, noch dazu ums FBI. Das wussten wir von Anfang an.«
    Joe schwieg.
    »Joe, versprechen Sie mir, dass Sie ruhig bleiben.«

    Marybeth war hinauf ins Schlafzimmer gelaufen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, nachdem Joe ihr Hersigs Neuigkeiten berichtet hatte. Ich muss ihr Zeit lassen, ehe ich nachkomme, dachte er – ich brauche ja selbst Zeit, um mir Sätze zu überlegen, die nicht wütend und verbittert klingen. Er nahm seine Jacke und ging in die Nacht hinaus, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
    Es war kalt, die Luft feucht. Wolken hatten sich vor die Sterne
geschoben. Nach zwei Monaten würde es erstmals wieder kräftig schneien. Irgendwie freute er sich darauf. Auf dem Weg zum Palisadenzaun machte er seine Jacke zu.
    Im Dunkeln hörte er das leise Rauschen von Vogelschwingen. Die Hand am Gartentor, blieb er stehen und wandte sich um. Neben Joes Pick-up, der in der Einfahrt geparkt war, saß Nate Romanowski auf der Haube eines alten Buick Riviera mit Nummernschild aus Idaho. Sein Wanderfalke hockte ihm auf der Faust.
    »Haben Sie je erwogen, einfach anzuklopfen?«, wollte Joe wissen.
    »Danke, dass Sie mich aus dem Spiel gelassen haben«, antwortete Nate, ohne auf die Frage einzugehen.
    »Sie haben mir geholfen«, sagte Joe und schlenderte auf Nate zu. »Das war das mindeste, was ich tun konnte.«
    »Ich hab von den Ergebnissen der Untersuchung gehört«, sagte Nate kopfschüttelnd. »Ihre erste Überlebensregel ist, die eigenen Leute zu schützen.«
    »Wie, zum Teufel, haben Sie davon erfahren? Ich hab eben erst Bescheid bekommen.«
    »Über meine Kontakte in Idaho. Die Entscheidung ist schon vor sechs Wochen gefallen. Alle Bundesbeamten wussten es. Bürotratsch. Sie brauchten nur etwas Zeit, um die Dinge schriftlich richtig hinzudrehen.«
    Joe schwang sich neben Nate auf die Motorhaube. Er seufzte tief und kämpfte dagegen an, sich in heftige Wut hineinzusteigern. Jetzt erst begriff er, wie sehr er im Zuge der Untersuchung auf ein Wunder gehofft hatte und wie naiv diese Hoffnung gewesen war.
    »Es wäre gut«, sagte Nate, »wenn Melinda Strickland verschwinden würde.«
    Joe wandte sich zu ihm um und musterte ihn kalt. Diesmal
diskutierte er nicht. Er dachte an seine Familie im Haus und daran, wie hart die letzten zwei Monate für sie alle gewesen waren. Das würde die Dinge nicht in Ordnung bringen oder die früheren Verhältnisse wiedererschaffen. Doch er dachte
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