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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Lichtern und tanzenden
Schatten tauchten. Doch Andrej glaubte es nicht.
    Abu Dun und er waren losgestürmt, kaum dass sie die ersten
Schreie gehört und den ersten, noch blassen Feuerschein am
Himmel gesehen hatten, aber sie mussten trotzdem eine halbe
Stunde für ihren Weg gebraucht haben, und die Schreie waren
schon lange vor ihrer Ankunft dünner geworden und schließlich
ganz verstummt.
    Überall zwischen den brennenden Häusern lagen Tote; Männer, Frauen und Kinder, die ohne Unterschied dahingeschlachtet
worden waren. Soweit es Andrej von der Höhe des Grates aus
hatte beurteilen können, mussten sich die letzten Überlebenden
zu ihrer Verteidigung in die Kirche zurückgezogen haben, die
zugleich das massivste Bauwerk des Dorfes darstellte, aber
genutzt hatte es ihnen nichts. Die schweren Portale des
einfachen Holzbaus waren geschlossen, und die Angreifer hatten
sie mit zwei schräg dagegen gerammten Baumstämmen
blockiert, bevor sie das gesamte Gebäude in Brand gesetzt
hatten. Und auch im Wasser trieben Leichen.
    Abu Dun berührte ihn leicht an der Schulter und deutete mit
der anderen Hand zum jenseitigen Ende des Dorfes. Andrej
wäre die Bewegung inmitten der zuckenden Schatten vielleicht
nicht einmal aufgefallen, doch nun, einmal darauf aufmerksam
geworden, war es ihm unmöglich, das Dutzend buckeliger,
haariger Gestalten zu übersehen, das sich dort versammelt hatte.
Die Entfernung war selbst für seine scharfen Augen zu groß, um
Einzelheiten oder gar Gesichter erkennen zu können, dennoch
machte er ohne Mühe Ansen unter den unheimlichen Kreaturen
aus. Er war der Kleinste.
    »So viel zu ihren Geschäften«, grollte Abu Dun. Seine Stimme
bebte vor mühsam unterdrücktem Zorn. »Am liebsten würde ich
…«
    Andrej machte eine beruhigende Geste. Auch er verspürte
einen ohnmächtigen Zorn angesichts dessen, was Ansen und
seine Männer getan hatten, und doch glaubte er nicht, dass er die
Gefühle des Nubiers tatsächlich nachvollziehen konnte. In
gewissem Sinne sah sich Abu Dun mit seiner eigenen
Vergangenheit konfrontiert. Auch sein Heimatdorf war von
Fremden überfallen und ausgelöscht worden, als er noch ein
Kind gewesen war.
»Ich weiß«, sagte er, »aber wir können nichts tun.«
    Abu Dun sagte nichts mehr, doch Andrej war klar, dass seine
Worte dem Nubier kein Trost waren, denn er wusste, das
Gefühl, zum hilflosen Zuschauen verdammt zu sein, war die
schlimmste aller Strafen für den schwarzhäutigen Riesen.
    »Warum tun sie das?«, murmelte er. Der Wind drehte sich und
trug eine Wolke beißenden, nach brennendem Holz und Fleisch
stinkenden Qualm zu ihrem Versteck über dem Dorf herauf, und
sie kämpften beide gegen einen unerträglichen Hustenreiz an.
Dennoch war Andrej beinahe dankbar dafür. Nur durch Zufall
hatten sie sich dem Dorf gegen den Wind genähert – vielleicht
der einzige Grund, weshalb sie überhaupt noch am Leben waren.
    Wenn die Kreaturen dort unten Abu Dun und ihm so ähnelten,
wie er es vermutete – wenn auch auf eine durch und durch
grauenvolle Art –, dann waren ihre Sinne wahrscheinlich scharf
genug, um etwaige Feinde auch über diese große Entfernung
hinweg noch zu wittern. Es war nur der Qualm des brennenden
Dorfes, der sie schützte.
    »Vielleicht nur, weil es ihnen Freude macht«, flüsterte Abu
Dun, doch Andrej schüttelte abermals den Kopf. Er hatte keinen
Beweis dafür, aber er spürte einfach, dass das entsetzliche
Morden einen Grund hatte. Und irgendetwas sagte ihm, dass es
wichtig war, diesen Grund zu kennen.
    Mittlerweile hatten sich alle Werwölfe am Ortsrand
eingefunden, und Ansen machte plötzlich eine befehlende Geste,
woraufhin die ganze Meute ein lang anhaltendes, johlendes
Heulen anstimmte und abzuziehen begann. Andrej ließ sie nicht
aus den Augen, bis sie in den Schatten jenseits des brennenden
Dorfes verschwunden waren, und auch dann bedeutete er Abu
Dun, weiter still liegen zu bleiben. Sie warteten noch eine
geraume Weile.
    Das Heulen der Wölfe hielt an, wurde aber ganz allmählich
leiser, und endlich glaubte Andrej, das Risiko verantworten zu
können, und stand auf. Nebeneinander und so schnell, dass sie
auf dem steilen Hang mehr als einmal den Halt verloren und
stürzten, liefen sie zum Dorf hinunter.
    Obwohl Andrej sicher war, dass sie keine Überlebenden mehr
finden würden, durchsuchten sie doch gründlich jedes Haus,
soweit es die immer noch hell lodernden Flammen zuließen.
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