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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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solchen Spur aus Leid und Verwüstung gefolgt zu sein.
    Wie viele Menschen hatte das Ungeheuer getötet: fünfzig?
Hundert? Er wusste es nicht. Er wusste nicht einmal genau, was
es war, das sie verfolgten, er wusste nur, dass …
    Das Knacken eines zerbrechenden Zweiges riss Andrej jäh aus
seinen Gedanken. Jedem anderen wäre das Geräusch
möglicherweise entgangen, doch für Andrejs feine Sinne klang
der Laut so scharf und bedrohlich wie ein Peitschenhieb. Neben
ihm fuhr auch Abu Dun fast unmerklich zusammen und ließ die
Schultern dann wieder in einer Haltung perfekt gespielter
Erschöpfung nach vorne sinken.
    »Links«, murmelte der Nubier, »fünfzig Schritte hinter den
Bäumen.«
Andrej antwortete mit einem angedeuteten Nicken, widerstand
aber der Versuchung, in die von Abu Dun bezeichnete Richtung
zu sehen.
Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber nun, einmal darauf
aufmerksam geworden, spürte er die Anwesenheit eines
Beobachters fast so deutlich, als könnte er ihn sehen. Ohne das
seidige Geräusch des Regens hätte er vermutlich seine
Atemzüge hören können.
Er ließ sein Pferd langsamer traben, hielt schließlich ganz an
und drehte sich mit schon fast übertrieben wirkenden
Bewegungen im Sattel nach links und rechts.
Alles rings um sie herum war grau. Der strömende Regen hatte
nicht nur die Temperaturen ins Bodenlose fallen lassen, sondern
auch alle Farbe aus dem Tag gewaschen. Vor ihnen fiel die mit
kümmerlichem Gras und dürrem Buschwerk bewachsene Ebene,
über die sie seit Stunden ritten, sanft zur fernen Küste hin ab.
Die Bäume, von denen Abu Dun gesprochen hatte, entpuppten
sich als die Ausläufer eines struppig wirkenden Waldstücks, das
sich wie eine Hand mit viel zu vielen Fingern über den Hang
erstreckte.
Links davon, vielleicht drei- oder auch vierhundert Schritte
entfernt, erhob sich ein Gewirr aus Felstrümmern, die im
strömenden Regen wie matte, unbehandelte Edelsteine glänzten.
Abu Dun deutete heftig gestikulierend zu diesen Felsen hin.
Andrej antwortete mit einem ebenso übertrieben deutlichen
Nicken. Daraufhin gab der Nubier seinem Pferd die Sporen und
sprengte auf die Felsgruppe zu. Andrej sah ihm einen Moment
lang reglos nach, dann lenkte er sein Pferd auf den Waldrand zu.
Wer immer sich dort verbarg und sie beobachtete, musste jetzt
annehmen, dass Abu Dun irgendetwas bei den Felsen
überprüfen wollte, während er selbst den Waldrand ansteuerte,
um dort zu rasten.
Andrej ließ sich Zeit. Er musste sein Pferd zurückhalten, das
die Nähe des Waldes spürte und ihm entgegenstrebte. Vielleicht,
weil es das saftige Grün witterte, vielleicht auch, weil das Tier
es, genau wie sein Reiter, einfach leid war, Stunde um Stunde
durch den strömenden Regen zu laufen.
Zehn Meter vor dem Waldrand sprang Andrej aus dem Sattel,
ließ das Tier einfach laufen und steuerte die weit überhängenden
Äste einer gewaltigen Buche an, wie um sich unterzustellen. Er
wählte ganz bewusst eine Stelle, die ein ganzes Stück von der
entfernt war, an der er den Beobachter vermutete. Geduldig
wartete er, bis er Abu Duns Nahen spürte. Dann schlenderte er
wie zufällig in die Richtung, aus der er die verstohlenen
Atemzüge und das Hämmern zweier angsterfüllter Herzen hörte,
und sprintete los. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen erreichte er
den eigentlichen Waldrand und brach rücksichtslos durch das
Unterholz. Die dürren Äste zersplitterten wie Glas, als er sich
durch sie hindurchwarf, und Andrej sah einen Schatten
davonhuschen und hörte ein erschrockenes Keuchen. Er hatte
nur einen flüchtigen Eindruck von einer dunklen, sonderbar
heruntergekommenen, asymmetrisch wirkenden Gestalt
bekommen, die zwischen den Bäumen verschwunden war.
Blitzschnell griff er zu und bekam auch etwas zu fassen, aber
nur für einen Moment, dann hörte er das Reißen von Stoff und
stolperte hinter dem Flüchtenden her. Andrej musste all seine
Schnelligkeit aufbieten, um ihn einzuholen und schließlich mit
einer wütenden Bewegung zu Boden zu schleudern.
Ein keuchender Schrei erscholl und der Mann trat noch im
Fallen nach Andrejs Gesicht und traf auch. Andrej knurrte
wütend, spuckte Blut und den Splitter eines Zahnes aus und griff
noch einmal fester zu.
Aus den verzweifelten Schreien des Mannes wurde ein
ersticktes Keuchen. Und Andrej prallte erschrocken zurück, als
ihm plötzlich klar wurde, dass der Mann verstümmelt war. Seine
Kleider hingen in Fetzen und die Haut
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