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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder
Autoren: Nevada Barr
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und Kniegelenke schlug, die längst nicht mehr so viel Nachsicht zeigten wie früher.
    Joan konnte zwar selbst den Beeren nicht völlig widerstehen, nahm ihre berufliche Verantwortung aber ernster als die Bedürfnisse ihrer unsterblichen, beerensüchtigen Seele.
    Auch Rory machte sich eifrig über die Beeren her, bis Anna der Versuchung erlag und sich laut fragte, ob Bären einen nach Heidelbeeren duftenden Atem wohl als unwiderstehlich verlockend empfinden würden. Die Bemerkung brachte ihr einen entnervten Blick von Joan Rand und die bereits von Rory gepflückten Beeren ein.
    Als sie den Kipp Creek überquerten, der glitzernd über leuchtend rote, grüne und goldene Steine plätscherte – ein himmelweiter Unterschied zu den schlammbraunen, von Wasserschlangen bevölkerten Bächen, die in Annas neuer Heimat im Süden vorherrschten –, wurde der Beerenhunger von Atemnot abgelöst.
    Ohne dass Rory es ahnte, hatte er nun seine Rache, denn er war stärker, als er aussah – und außerdem jünger als viele von Annas Handtüchern. Während des Aufstiegs, der zum Großteil einen freiliegenden Südwesthang hinauf führte, brannte die Sonne vom Himmel. Nach anderthalb Kilometern tat Anna jeder Knochen im Leibe weh. Schweiß rann ihr in die Augen, und ihre gequälte Lunge brannte. Ihr Atem pfiff durch einen vom Offenstehen ausgedörrten Mund, und sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    Hin und wieder legte Joan im Schatten einer der vereinzelten hohen Tannen eine Rast ein. Anna hätte ihr dafür am liebsten die Füße geküsst, wusste allerdings, dass sie es in diesem Fall nie wieder geschafft hätte, vom Boden aufzustehen. Während dieser Pausen schlug Anna nach den Bremsen, die offenbar versessen auf die Rückseite ihrer Oberschenkel waren, und beschäftigte sich ansonsten zu gleichen Teilen damit, die Aussicht zu genießen und ihre körperliche Unterlegenheit vor ihren Begleitern zu verbergen.
    Von ihrer erhöhten Position aus hatten sie sieben Berge im Blick. Vier erhoben sich entlang der Kontinental-Trennlinie und bildeten eine Mauer, die sie von Westen nach Osten umgab. Die Berge waren nicht grün, sondern blau, mit noch von Schnee bedeckten Gipfeln. Lange Wasserströme, die Tausende von Metern durch Gestein und Wälder führten, ergossen sich über die Felswände.
    Die Schlucht, aus der sie sich mühsam herausarbeiteten, war keine Ausnahme. Ein weiß schäumendes Band, abwechselnd Wasserfall, Stromschnellen und Fischteich, war immer wieder zu sehen, als der Berg seine Zauberkräfte spielen ließ.
    Anna schwitzte, täuschte Kondition vor und versprach in Gedanken Amy, ihrer Aerobic-Lehrerin, in Zukunft brav zum Kurs zu kommen, falls sie diesen Gewaltmarsch überleben sollte. Deshalb nahm sie nur am Rande wahr, dass links und rechts von ihr zahlreiche Wildblumen wuchsen, die sie eigentlich hätte bewundern sollen.
    Um die Mittagszeit erreichten sie den Gipfel. Von einem Gletscher abgeflacht, unterschied sich der Flattop Mountain von seinen spitz zulaufenden Nachbarn. Im Osten erhoben sich die aus Tonerde bestehenden Klippen des Mount Kipp in der Lewis Range über Bergwiesen. Neun Kilometer im Norden fiel die Hochebene des Flattop Mountain steil ins kanadische Waterton River Valley ab.
    Auf dem Flattop Mountain verließen sie den bequemen Pfad und gingen durch die Hitze nach Westen in Richtung Trapper Peak. Zwischen den beeindruckenden Felswänden des Flattop Mountain und des Trapper Peak befand sich eine tiefe Schlucht, ähnlich der, der sie beim Aufstieg gefolgt waren. Dort floss der Continental Creek hinunter bis zum tausend Meter tiefer liegenden McDonald Creek, um dort das Schmelzwasser aus dem Gletscher abzuladen. Die erste Haarfalle befand sich in einer kleinen, von einer Lawine geformten Rinne oberhalb der Schlucht, eine Stelle, die Bären nicht minder anzog als die größeren Gewässer, da es hier auch in trockenen Jahren mehrere Quellen gab.
    Der Waldbrand im Jahr 1998 hatte sich langsam und schleichend vorangearbeitet und alles verschlungen, was sich ihm in den Weg stellte. Schwarzblaue Baumstümpfe ragten wie Klauen in den Himmel. Da Schatten, Grünpflanzen oder Feuchtigkeit fehlten, lastete die Sonne ebenso gnadenlos auf Annas Rücken wie ihr Rucksack. Bei jedem Schritt knirschten verkohlte Holzstückchen unter den Sohlen ihrer Stiefel. Schwarzer Staub wirbelte auf und vermischte sich mit ihrem Schweiß und dem Insektenmittel, mit dem sie sich die Beine eingesprüht hatte. Trotz des Gifts
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