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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder
Autoren: Nevada Barr
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Parkmitarbeiter, in dem Anna je übernachtet hatte, mit einer eigenartigen Mischung aus Möbeln mit starker Tendenz in Richtung Fünfzigerjahre und Wal-Mart eingerichtet war. Der Wandschrank enthielt die üblichen Rucksäcke, Wintermäntel und für Minustemperaturen geeignete Schlafsäcke. Anna lag, eine alte, schon oft gelesene Ausgabe von The Wind Chill Factor auf der Brust, wach im Bett. Wie damals als Kind erkannte sie die Umrisse von Tieren in den Wasserflecken an der Decke und dachte an die anstehende Wanderung.
    Es war schon Monate her, dass sie etwas Anstrengenderes unternommen hatte, als auf ihrem Allerwertesten im Streifenwagen zu sitzen. Die schwersten Gegenstände, die sie für gewöhnlich hob, waren der Block mit den Bußgeldformularen und ein Kugelschreiber aus Behördenbeständen. In ihrer Verzweiflung hatte sie sich sogar für einen Aerobic-Kurs im baptistischen Gesundheitszentrum in Clinton, Mississippi, eingeschrieben, war jedoch nur zweimal hingegangen. Eine Voraussetzung für die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme war die Fähigkeit, einen fünfundzwanzig Kilo schweren Rucksack zu tragen. Anna hatte nicht gelogen. Sie konnte fünfundzwanzig Kilo tragen. Nur wie weit, das würde sich noch zeigen.
    Sie hoffte, dass sie die anderen nicht aufhalten würde. Außerdem hoffte sie, dass Rory Van Slyke, der Joans abwesenden Söhnen auf so unheimliche Weise ähnelte, für die Forscherin nur einen Transporteur des Blutes geopferter Kühe verkörperte – nicht die Geister tot geborener Apostel.
    Auch eine Begegnung mit ein paar Bärenjungen wäre schön gewesen.
    Solange die Bärenmama sie nicht entdeckte.

2
    Da Joan Rand eine kleine Frau mit großem Verstand war, bewegte sich das Gewicht der Rucksäcke eher im Bereich zwanzig als fünfundzwanzig Kilo, eine Tatsache, für die Anna, wie sie wusste, im Laufe des Tages zunehmend dankbar sein würde. Die ersten viereinhalb Kilometer Fußmarsch führten geradeaus durch verhältnismäßig ebenes Terrain. Bei der zweiten Etappe ging es über steile Serpentinen achthundert Meter bergauf.
    Rorys Rucksack war ein wenig schwerer, wie es sich für ein jüngeres, stärkeres, höher gewachseneres und vor allem untergeordnetes Mitglied einer Expedition gehörte. Achthundert Meter waren eine Strecke, die Anna in ihrer Zeit im Guadalupe Mountains National Park zweimal pro Woche zurückgelegt hatte, um von ihrem Stützpunkt aus das Hochland zu erreichen. Obwohl sie damals jünger, kräftiger und durchtrainierter gewesen war, hatte sie die Kletterpartie als mörderisch empfunden.
    Ein Mitarbeiter des Teams, dessen Aufgabe es war, bei Auseinandersetzungen zwischen Bären und Touristen zu vermitteln, nahm sie mit dem Auto ein Stück die berühmte Going to the Sun Road hinauf mit, die durch den malerischsten Teil des Nationalparks führte. Die Straße war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren erbaut worden, als Arbeitskräfte noch genauso billig gewesen waren wie Wildnis wertlos. Er setzte sie in Packer’s Roost ab, einer Station für Reiter und Wanderer am Fuße des Flattop Mountain.
    Anders als einige Parks, in denen Anna gearbeitet hatte, war der Glacier eine ursprüngliche, keine wiederhergestellte Wildnis. Der Großteil des Gebiets war von Holzwirtschaft, Bergwerksgesellschaften und Viehzucht verschont geblieben. Die Bäume waren alt, und das Land trug nur die Narben von Naturphänomenen wie Waldbränden, Überschwemmungen und Lawinen. Lediglich die alte Brandschutztrasse, der sie am Anfang des Berghangs folgten, war eine der seltenen Ausnahmen.
    Da man sie damals von Bäumen befreit und anschließend sich selbst überlassen hatte, hatte sie etwas Märchenhaftes an sich. Ein breiter Streifen aus zartgrünem Moos bildete den Rand des ausgetretenen schmalen Pfades und ähnelte einem mit winzigen, sternförmigen Blüten bewachsenen natürlichen Teppich. Über ihren Köpfen sperrten die fedrigen Kronen von Föhren und Zedern das Sonnenlicht aus. Ein kräftiger, berauschender Duft, wie man ihn nur in den Bergen des Westens findet, lag in der Luft. Mit jedem Atemzug fühlte Anna sich in eine andere Welt versetzt und schwelgte beim Gehen in angenehmen Erinnerungen an die südlichen Cascades in Lassen Volcanic und dem Zipfel der Rocky Mountains in Durango, kurz bevor das alpengleiche Grün an den roten Tafelbergen von New Mexico endete.
    Die Einheimischen in Montana beschwerten sich über eine ungewöhnliche Hitzewelle, dank derer die Quecksilbersäule auf um die dreißig
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