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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder
Autoren: Nevada Barr
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dachte. Alles war neu gewesen, weshalb ihr nichts eigenartig erschienen war. Wunder geschahen täglich, hatten also nichts Bemerkenswertes an sich. Und da die Regeln noch nicht wie große rostige Nägel in ihren Verstand gehämmert worden waren, ließen sie sich mühelos umgehen.
    Am nächsten Morgen begann die groß angelegte Verhaftungs- und Rettungsaktion, meisterhaft geplant und reibungslos organisiert von Polizeichef Harry Ruick. Er wurde von Buck und Gary begleitet, beide mit Magnum-Repetiergewehren von Weatherby bewaffnet, die genug »Aufhaltekraft« für einen Bären von Balthazars Größe hatten. Falls es zu Schwierigkeiten kam, würden sie sie auch brauchen, dachte Anna. Denn die Kugeln würden zuerst den Körper von Geoffrey Micou durchschlagen müssen, ehe sie seinen bepelzten Bruder trafen. Anna gab das von McCaskil gespendete Gewehr ab. Es würde einen Bären nicht stoppen können, allerdings eine Menge Schaden anrichten.
    Die kürzeste Strecke führte den McDonald Creek hinunter, die westliche Hälfte eines langen, gewundenen Pfades, der in Packer’s Roost endete. Obwohl Annas Knie muckte, verzichtete sie auf das Pferd und ging den Großteil des Weges zu Fuß. Sie wollte in Balthazars Nähe sein und bewunderte, wie Licht und Schatten in seinem Fell spielten, seinen anmutigen schwankenden Gang und die tiefen Spuren, die seine langen Krallen im Staub hinterließen. Um Konflikte zu vermeiden, hatte Harry den Pfad für Besucher gesperrt, und zwar mit der banalen Ausrede, ein toter Elch liege hier herum und könnte Bären anlocken.
    Balthazars Anhänger und der Pick-up, um ihn zu ziehen, waren bereits vom Autohof geholt worden und erwarteten sie am Ziel.
    In Packer’s Roost wurden der Bär und der Junge getrennt. Balthazar wurde zu einem Pferch gebracht, den ein in West Glacier ansässiger Unternehmer ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Er betrieb einen Freizeitpark, in dem Touristen Schwarzbären bewundern konnten.
    Bill McCaskil schaffte man ins Bezirksgefängnis, wo er einsitzen würde, bis man ihn offiziell unter Anklage stellen und die Kaution bestimmen konnte. Seine Liste falscher Namen sowie die Entführung von Forschern und der Mordversuch an einer Bundespolizistin würden ihm vermutlich zu Untersuchungshaft verhelfen.
    Rory war zu der Entscheidung gelangt, dass er genug von dem DNA -Projekt hatte und mit seinem Dad nach Seattle zurückkehren wollte. Joan versprach, alles mit Earthwatch zu klären.
    Geoffrey Micou stellte sie jedoch vor einige Probleme. Er war gerade sechzehn geworden, minderjährig und eine Waise. Mr Fetterman hatte sich zwar nach dem Tod seines Vaters um den Jungen gekümmert, sich aber nicht die Mühe gemacht, ihn zur Schule zu schicken. Also hatte Geoffrey den Schulbesuch in der siebten Klasse abgebrochen. Er war zwar ausgesprochen intelligent und hatte sich selbst eine Menge beigebracht, galt aber offiziell als Schulschwänzer. Deshalb wurde das Jugendamt von Montana eingeschaltet. So sehr Joan sich auch dafür einsetzte, dass er zumindest so lange bei ihr bleiben durfte, bis seine Zukunft geklärt war, hatte man ihn abtransportiert.
    Und Anna saß auf ihrem Versprechen fest, dass Balthazar nichts Schlimmes zustoßen würde.
    Drei Tage lang telefonierten sie, Joan und Harry verschiedene Zoos und Forschungszentren ab. Nach ausgewachsenen Alaska-Grizzlys mit Balthazars ungewöhnlicher Vorgeschichte bestand keine Nachfrage. Niemand wollte ihn, und in freier Wildbahn konnte er nicht überleben. Obwohl sich alle nach Kräften um das prachtvolle Tier bemühten, wuchsen Annas Befürchtungen, die einzige Lösung könnte eine endgültige sein. Und das hätte geheißen, dass eine Welt, in der bereits ein Mangel an beidem bestand, das Vertrauen eines Jungen und eine gewaltige Portion Magie verlieren würde.
    Auf dem Flug von Kalispell nach Dallas wusste Anna, dass sie versagt hatte. Einen Mord aufzuklären und einen Verbrecher zu fangen waren zwar zugegebenermaßen Notwendigkeiten, jedoch im Grunde genommen banal. Die Erkenntnis, dass Carolyn Van Slyke Opfer eines Unfalls geworden war, machte die Welt nicht besser. Vielleicht war die finanzielle Lage der Menschen in Florida durch das Ausschalten eines Betrügers ein wenig sicherer geworden, doch es würden andere an seine Stelle treten. Im Grunde seines Herzens war William McCaskil, wie Anna glaubte, kein gewalttätiger Mensch. Er war nur gierig und unmoralisch und schlug um sich, wenn er in Angst geriet. Er hatte behauptet, das Gewehr
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