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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen
Autoren: T Weaver
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getrieben haben mochten, jedenfalls scheiterte der Psychologe daran, von Crane zu erfahren, was er empfunden hatte, als er sich übers Geländer gebeugt und seine Frau, die ein Kind von ihm erwartete, tot auf dem Rasen hatte liegen sehen. Nichts wies darauf hin, dass er sie vermisste oder sein Verbrechen bereute. Er hatte sie im Wald vergraben, was sich während der zahlreichen Befragungen als sein einziger wunder Punkt entpuppte. Als der einzige Weg, ihn zum Reden zu bringen. Phedra war das winzige Loch in der Mauer des Schweigens, die Crane errichtet hatte, und es würde sich niemals ganz schließen lassen.
    Er gestand, die sechs Frauen, die er in Formalin eingelegt hatte, ebenso wie Susan Markham ermordet zu haben. Außerdem bekannte er sich zu der Entführung von Megan, Jill und Sona. Allerdings sagte er bei der Gerichtsverhandlung
nicht viel mehr als seinen Namen. Nach vier Tagen sprachen die Geschworenen ihn schuldig, und er wurde zu siebenmal lebenslanger Haft, gleichzeitig zu verbüßen, verurteilt. In dieser Zeit sah ich mir täglich die Nachrichten an und rechnete eigentlich mit großspurigem Gehabe oder einem Lächeln in Richtung der Geschworenen, während seine grauenhaften Verbrechen geschildert wurden. Doch die Reporter beschrieben ihn stets als bedrückt, und nach einer Weile wurde mir klar, dass ihm ohne sein Projekt und die Möglichkeit, es schrittweise weiterzuentwickeln, nichts geblieben war. Als er nicht einmal fähig war, Reue wegen des Mordes an seiner Frau und seinem Kind zu äußern, wurde offensichtlich, dass er keine Facetten hatte. Kontrolle und Macht waren Aron Cranes einzige Antriebsfedern.
    Nach der Durchsuchung des Todeswalds befasste sich eine kleinere Mannschaft von Kriminaltechnikern mit dem Begräbnisplatz, den Crane entdeckt hatte, um die sterblichen Überreste von Milton Sykes’ dreizehn Opfern zu bergen. Man fand zwölf. Im dreizehnten Grab lagen Tierknochen, nicht die eines Menschen. Schon ehe sich ein Anthropologe der Gebeine angenommen hatte, wusste ich, welche Schlüsse man daraus ziehen würde. Sykes hatte den Wald besser gekannt als jeder andere: die winzigen Schluchten, die Pfade, die Lichtungen, die Verstecke. Schließlich hatte er sein ganzes Leben am Rand ebendieses Waldes verbracht. Crane war aus reinem Glück auf die zwölf Inderinnen gestoßen. Doch Jenny Truman würde irgendwo auf dem fünfundzwanzig Hektar großen Waldstück verschollen bleiben. Und bis man sie fand, würde dem Wald seine eigentümliche Atmosphäre erhalten bleiben. Das Gefühl, dass jemand versuchte zu entkommen und sich aus dem Boden hervorzuarbeiten, um endlich Frieden zu finden.

     
    Nach Cranes Verurteilung wurde weiter gegen die Russenmafia ermittelt. In den folgenden Monaten suchte die Polizei Crane häufig im Gefängnis auf, um Informationen von ihm zu erhalten. Nur den Mitgliedern der Sonderkommission war bekannt, in welchem Umfang Crane zur Mitarbeit bereit war und wie viel er überhaupt wusste. Allerdings hatte ich mehrfach läuten hören, dass die Gefängnisverwaltung auf Anraten der Polizei inoffizielle Schutzmaßnahmen ergriffen hatte, denn schließlich wollte man verhindern, dass Crane hinter Gittern ermordet wurde. Außerdem war die Polizei Akim Gobulev angeblich dichter auf den Fersen als je zuvor.
    Vielleicht stimmte das ja. Doch ich hoffte sehr, dass die Opfer, die man für diesen Erfolg gebraucht hatte, bei der Polizei nicht in Vergessenheit geraten würden. Sechs tote Frauen, einschließlich Leanne. Und drei weitere  – Megan, Sona und Jill  –, die dem Tod um Haaresbreite entronnen waren. Dazu noch Susan Markham und Cranes eigene Frau und sein Kind.
     
    Nach einer Weile besuchte ich Jill zu Hause. Sie trug noch immer einen dicken Verband um die Stirn, wo Chirurgen ihr die Haut wieder angenäht hatten. Doch ansonsten sah sie verhältnismäßig unversehrt aus. Kaum Blutergüsse oder andere sichtbare Verletzungen. Während sie Kaffee kochte, stand ich in der Küchentür und lauschte ihrer Schilderung des Abends, an dem der Mann, den sie als Aron Crane gekannt hatte, gekommen war, um sie zu entführen.
    Beim Reden nestelte sie an ihrem Kettenanhänger mit dem heiligen Michael herum und warf hin und wieder einen Blick auf die Fotos von ihrem Mann, die vom Kaminsims zu uns herüberschauten. In diesem Moment erkannte ich viel von mir selbst in ihr wieder: Auch sie musste sich ein ums andere Mal vor Augen halten, dass der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen konnte und
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