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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen
Autoren: T Weaver
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weiße Frau.
    Auf dem Foto, das die Carvers mir gegeben hatten, saß Megan mit ihrer Mutter am Strand. Der Sand war weiß und mit kleinen Steinchen und Zweigen durchsetzt und endete an einem saphirblauen Meer. Hinter Caroline und Megan spielte ein kleiner, etwa vierjähriger Junge. Er hatte sich halb zur
Kamera hingewandt, doch sein Blick galt dem Loch, das er gerade grub.
    Carver zeigte auf den Jungen. »Das ist unser Sohn Leigh.« Offenbar stand mir ins Gesicht geschrieben, was in mir vorging: Zwischen ihren Kindern lag ein Abstand von dreizehn Jahren. »Wahrscheinlich könnte man sagen …« Er warf seiner Frau einen Blick zu. »Leigh war eine sehr freudige Überraschung.«
    »Wie alt ist das Foto?«
    »Etwa acht Monate.«
    »Also kurz vor ihrem Verschwinden?«
    »Ja, unser letzter gemeinsamer Urlaub in Florida.«
    Megan war ganz klar die Tochter ihres Vaters. Sie hatte das gleiche Gesicht bis hin zu den Falten neben den Augen und ähnelte ihm auch im Körperbau: kräftig, ohne dick zu sein. Sie war ein hübsches siebzehnjähriges Mädchen mit langem blondem, wundervoll gepflegtem Haar und einer dunklen, attraktiv sonnengebräunten Haut.
    »Erzählen Sie mir, was an dem Tag ihres Verschwindens passiert ist.«
    Die beiden nickten, doch keiner machte Anstalten, das Wort zu ergreifen, offenbar weil es nun ans Eingemachte ging — es tat nun einmal weh, in Erinnerungen zu kramen, Geschehenes Revue passieren zu lassen und über die eigene Tochter in der Vergangenheitsform zu sprechen. Ich holte Block und Stift heraus. Carver wandte sich zu seiner Frau um, eine sanfte Aufforderung, doch sie bedeutete ihm, anzufangen. »Viel gibt es da nicht zu berichten«, meinte er schließlich. Anfangs zitterte seine Stimme, wurde dann aber fester. »Wir haben Megan in die Schule gebracht, und als wir sie später wieder abholen wollten, kam sie nicht heraus.«
    »War alles in Ordnung, als Sie sie am Morgen abgesetzt haben?«

    »Ja.«
    »Es gab keine Probleme?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Megan hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Freund, richtig?«
    »Richtig«, entgegnete Caroline in scharfem Ton.
    Carver sah seine Frau an und drückte ihre Hand. »Keinen, den sie uns gegenüber erwähnt hätte. Das muss nicht heißen, dass es niemanden gab.«
    »Also hatte sie früher schon Freunde?«
    »Ein paar«, erwiderte Caroline, »aber nichts Ernstes.«
    »Haben Sie sie kennengelernt?«
    »Kurz. Doch sie sagte immer, wenn sie endlich einmal einen Jungen für länger als ein paar Minuten mit nach Hause bringen würde, würden wir wissen, dass er der Richtige sei.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Hoffentlich werden wir diesen Tag noch erleben.«
    Ich schwieg einen Moment, während Carver näher an seine Frau heranrückte und den Arm um sie legte. Nachdem er ihr in die Augen geschaut hatte, wandte er sich wieder an mich.
    »Und sie hat nie den Wunsch geäußert, zu reisen oder London zu verlassen?«, fragte ich.
    Carver schüttelte den Kopf. »Nein, wenn man die Universität nicht mitzählt.«
    »Was ist mit ihren Freunden? Haben Sie mit ihnen gesprochen?«
    »Nicht persönlich. Das hat die Polizei in den Wochen nach ihrem Verschwinden getan.«
    »Und niemand wusste etwas?«
    »Nein.«
    Ich griff zum Stift. »Ich werde mir trotzdem die Namen und Adressen ihrer engsten Freunde notieren. Es lohnt sich bestimmt, sich ein zweites Mal mit ihnen zu unterhalten.«
    Caroline öffnete ihre Handtasche, holte ein grünes Adressbuch
heraus, das so klein war, dass es auch in die Jackentasche gepasst hätte, und reichte es mir.
    »Alle Adressen, die Sie brauchen, stehen da drin, auch die von ihrer Schule«, sagte sie. »Das ist Megs Buch. Sie nannte es ihr ›Buch des Lebens‹. Namen, Nummern, Notizen.«
    Ich bedankte mich mit einem Nicken und nahm das Buch entgegen. »Wie würden Sie das derzeitige Stadium Ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei einordnen?«
    »Da gibt es eigentlich kein Stadium. Alle vierzehn Tage reden wir mit ihnen.« Carver hielt inne und zuckte die Schultern. Wieder sah er seine Frau an. »Anfangs haben wir in relativ kurzer Zeit ziemlich große Fortschritte gemacht. Die Polizei hat uns erzählt, sie hätten einige hilfreiche Hinweise. Wahrscheinlich waren wir deshalb recht zuversichtlich.«
    »Hat man Ihnen erklärt, was das für Hinweise waren?«
    »Nein. Zunächst war es schwierig für sie.« Er hielt inne. »Da wir für Informationen eine Belohnung ausgesetzt hatten, mussten sie ziemlich viele Anrufe bearbeiten. Jamie
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