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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen
Autoren: T Weaver
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Einige gegen Ende stellten Megan und offenbar ihre Freundinnen dar. Auf dem letzten stand sie vor einer Tür, die der Eingang zu einem Mietshaus zu sein schien. Ich holte das Bild näher heran. Die Tür hatte Glasscheiben, in denen sich das Tageslicht und zwei cremefarbene Häuserblocks spiegelten. Rechts war ein Stück Backsteinmauer zu erkennen. Sonst nichts.
    Ich setzte mich wieder ans MacBook und fuhr iPhoto hoch, in der Hoffnung, auf eine größere Version zu stoßen. Aber keines der Fotos in der Kamera war auf den Computer überspielt worden. Offenbar war sie noch nicht dazu gekommen. Ich überprüfte das Datum in der Kamera: 6. März. Achtundzwanzig Tage vor ihrem Verschwinden. Ich holte das Foto noch einmal näher heran und betrachtete es. Doch das Spiegelbild in der Scheibe, der beste Hinweis darauf, wo sie sich aufhielt, war überbelichtet. Als ich erneut ihr Gesicht musterte, fiel mir etwas auf.
    Ihr Lächeln.
    Es war ein Lächeln, das ich auf keinem der anderen Fotos gesehen hatte. Zum ersten Mal wirkte sie wie eine Frau, nicht wie ein Mädchen.
    Weil sie für jemanden posiert, den sie anziehend findet.
    »Etwas entdeckt?«
    Ich drehte mich um. Carver stand in der Tür.
    »Ich bin nicht sicher«, erwiderte ich und hielt Kamera und Aufbewahrungsbox hoch. »Kann ich die mitnehmen?«

    »Natürlich.« Er kam näher. »Ich habe mir diese Fotos Hunderte von Malen angeschaut. Die Polizei ebenfalls. Manchmal hat man das Gefühl, man könnte etwas übersehen haben. Man glaubt, es sei einem etwas entgangen. Und wenn man dann wieder nachschaut, hat man nur das vor sich, was man bereits kennt. Vielleicht ist ja ein neuer Blick nötig.«
    Er trat ein und griff nach einem frühen Foto von Megan. Ich beobachtete ihn, wie seine Augen über das Bild wanderten und die Erinnerungen in sich aufsogen. Als er endlich den Kopf hob, merkte ich ihm an, dass er mühsam die Tränen unterdrückte.
    »Wissen Sie, wo das ist?«, fragte ich ihn und reichte ihm die Kamera.
    Er musterte das Foto gründlich und schüttelte den Kopf.
    »Nein.«
    »Sie haben es also nicht gemacht?«
    »Nein.«
    »Eine Vermutung, wer es gewesen sein könnte?«
    Er zuckte die Schultern. »Eine ihrer Freundinnen vielleicht?«
    Unten läutete das Telefon. Carver entschuldigte sich und ging. Nachdem er fort war, durchsuchte ich die restliche Box. Weitere Fotos, ein paar Briefe, alter Schmuck.
    Spuren eines Lebens, das Megan hinter sich gelassen hatte.
     
    Als ich mich verabschiedete, war es fast Mittagszeit. Die Sonne war verschwunden, der Himmel bewölkt. In der Ferne sah ich aus der Innenstadt Regenwolken heranziehen.
    Ich schloss meinen alten 3er-BMW auf, warf meinen Notizblock auf den Beifahrersitz und drehte mich zu Carver um, der mich hinausbegleitet hatte.
    »Ich würde gern mit Ihrer Frau sprechen«, sagte ich. Allein.
    »Natürlich. Das Problem ist nur, dass ich morgen auf eine Baustelle muss …«

    »Schon in Ordnung. Ich versuche, Verzögerungen zu vermeiden. Könnten Sie Ihr also bitte ausrichten, dass ich vorbeikomme? Das wäre wunderbar.«
    »Klar, kein Problem.«
    Als ich davonfuhr, beobachtete ich im Rückspiegel, wie er hinter dem Eingangstor seines Hauses verschwand. Er wirkte wie jemand, dem man den Wind aus den Segeln genommen hatte. In ein paar Wochen würde er vielleicht aussehen, als hätte man ihm auch das Herz aus dem Leib gerissen.

3
    Einen Dreiviertelkilometer von Megans Schule entfernt gab es einen Diner. Ich setzte mich ans Fenster, bestellte ein Sandwich mit Speck und holte Megans »Buch des Lebens« heraus. Als ich es am Vorabend durchgeblättert hatte, hatte ich mir keinen rechten Reim darauf machen können. Es handelte sich um sechzig Seiten willkürlich angeordneter Notizen. Obwohl das Buch alphabetisch gegliedert war, stimmte keine der Eintragungen mit dem Buchstaben auf der jeweiligen Seite überein. Wo Namen hätten stehen sollen, waren Telefonnummern vermerkt und umgekehrt.
    Ich blätterte zurück zum Anfang. Megans Buch des Lebens. Kontakt hatte sie mit rotem Faserschreiber auf die erste Seite geschrieben. Die beiden Nummern daneben erkannte ich als ihre Festnetznummer und die ihres Mobiltelefons. Sicher hatte die Polizei den Einzelverbindungsnachweis und ihre letzten eingegangenen und getätigten Anrufe sowie ihre E-Mails überprüft. Ich musste meine Kontaktleute auf ihre Einzelverbindungsnachweise ansetzen. Allerdings hatte die Polizei Megans Eltern auf deren Bitte hin die Login-Daten für ihr E-Mail-Konto genannt,
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