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Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis
Autoren: Giles Blunt
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Stadtzentrum an der Hauptstraße – ein niedriger, roter Backsteinbau, der gar nicht erst versuchte, sich in die ein Jahrhundert alte Architektur seiner Umgebung einzufügen. Cardinal hatte kein Konto bei dieser Bank, doch er erinnerte sich, wie er einmal als Kind mit seinem Vater hineingegangen war. Als er vorfuhr, standen bereits drei schwarz-weiße Polizeiautos kreuz und quer über der Straße und auf dem Bürgersteig.
    Ken Szelagy, ein Grizzlybär von einem Mann und nach eigener Aussage ein verrückter Ungar, stand an der Tür und quasselte in sein Handy. Als er Cardinal sah, hob er die Hand. »Der Kerl hat sich längst aus dem Staub gemacht. Wir versuchen gerade, das Überwachungsvideo in die Finger zu kriegen. Wird bestimmt lustig, in dieser Erbsensuppe nach ihm zu suchen, he?«
    »Jemand verletzt?«
    »Nee. Aber ’n bisschen mitgenommen.«
    »Ist Delorme schon da drinnen?«
    »Mmh. Hat den Laden ziemlich gut im Griff.«
    Lise Delorme war nicht nur eine erstklassige Kriminalbeamtin, sondern sie hatte darüber hinaus diese ruhige, vernünftige Art, ein echter Pluspunkt im Umgang mit der Öffentlichkeit. Sie besaß auch optische Qualitäten, die für sie sprachen, doch im Moment zählte nur ihre vernünftige Art. Cardinal hatte schon mehrere Banküberfälle bearbeitet, und gewöhnlich bekam man es am Tatort mit einem Haufen Leute am Rande der Hysterie zu tun. Doch Delorme hatte es fertig gebracht, dass alle Angestellten ruhig hinter ihren Schreibtischen saßen und auf ihre Vernehmung warteten. Als Cardinal hereinkam, sah er sie hinter der Glasfront seines Büros mit dem Direktor sprechen.
    Der Direktor selber hatte von dem Raubüberfall nichts mitbekommen, doch er führte sie zu der jungen Kassiererin, die wenige Minuten zuvor in die Mündung einer Pistole gestarrt hatte. Cardinal überließ die Befragung Delorme.
    »Er hatte ein Tuch vor dem Gesicht«, sagte die Kassiererin. »Mit einem Schottenmuster. Er hatte es wie ein Bandit hochgezogen, ich meine, wie in einem Western. Es ging alles so schnell.«
    »Und seine Stimme?«, fragte Delorme. »Wie hat er sich angehört?«
    »Ich hab seine Stimme nicht gehört. Er hat nichts gesagt – glaube ich jedenfalls. Er stand einfach nur da, starrte mich an und reichte mir einen Zettel über die Theke. Es war entsetzlich.«
    »Haben Sie diesen Zettel noch?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er hat ihn wieder mitgenommen.«
    Cardinal sah sich um. Zu seinen Füßen lag ein zusammengeknülltes Stück Papier. Er hob es auf und entfaltete es an den Ecken, um keine Fingerabdrücke zu verwischen. Auf der einen Seite war es maschinenbeschriftet, auf der Rückseitestand in Bleistift und in eigenwilliger Orthographie: Halt den Munt oder ich schiese. Drück keinen Alarmknopf oder ich schiese. Reich mir alles Geld rüber, dass du in deiner Schupplade hast.
    »Ich hab die oberste Schublade ausgeleert und alles in einen braunen Umschlag gesteckt. Wir sind ausdrücklich angewiesen, uns in einer solchen Situation so zu verhalten, wir sollen einfach tun, was sie verlangen. Er hat das Geld in seinen Rucksack gesteckt.«
    »Was für eine Farbe hatte der Rucksack?«
    »Rot.«
    »Sind Sie sicher, dass er überhaupt nichts gesagt hat?«, fragte Delorme. »Zweifellos ging alles sehr schnell, aber versuchen Sie, das Ganze noch einmal in Gedanken durchzugehen.«
    »Er hat gesagt: ›Tu’s einfach.‹ So was in der Art. Ach, und ›Beeil dich.‹«
    »Hatte er einen Akzent?«, fragte Delorme. »Englisch? Frankokanadisch?« Sie selber hatte einen leichten frankokanadischen Akzent. Cardinal hatte ihn immer nur bemerkt, wenn sie sich ärgerte.
    »Ich hatte solche Angst, er würde mich erschießen, dass ich nicht darauf geachtet habe.«
    »Ach du liebes bisschen«, sagte Cardinal und starrte auf die Rückseite des Zettels. »Es ist Wudky.« Er trat von der Kasse zurück und winkte Delorme zu sich.
    »Wer zum Teufel ist das – Wudky?«, fragte sie. Delorme hatte, bevor sie zum Kriminalkommissariat kam, sechs Jahre lang im Innendienst der Sonderermittlung gearbeitet. Ihre Kenntnisse der hiesigen Fauna waren daher lückenhaft.
    »WDK – oder Wudky – die Abkürzung von ›Der Welt dümmster Krimineller‹. Wudky ist Henry Hewitt.«
    »Wollen Sie damit etwa sagen, Sie kennen diesen Hewitt-Typen?«
    Cardinal reichte ihr den Zettel. »Halten Sie ihn an der Ecke fest, hier.«
    Delorme warf einen Blick auf beide Seiten des Papiers und hielt plötzlich den Atem an. »Das ist ein alter Haftbefehl. Der Typ
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