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Blutiger Spessart

Blutiger Spessart

Titel: Blutiger Spessart
Autoren: Guenter Huth
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damit begann, alle honorigen Gäste der Reihe nach namentlich zu begrüßen, glitten Kerners Gedanken ab. Der Anruf heute Nacht unterschied sich geringfügig von den vorherigen. Dieser kleine Unterschied hatte ihm den Schlaf geraubt. Diesmal hatte der Anrufer gesagt:
»Heute
bist du tot!« Er warf Steffi einen besorgten Seitenblick zu. Sie schien konzentriert zu lauschen, war aber entspannt. Er spürte den Druck der Waffe unter dem Anzug.
    Mittlerweile war die Präsidentin am Ende, und der Oberlandesgerichtspräsident ergriff das Wort. Danach musste Kerner ans Pult treten. Normalerweise sprach bei derartigen Anlässen auch der Vorgänger, aber Kerners Vorgänger im Amt war aus Krankheitsgründen ausgeschieden und konnte am Festakt nicht teilnehmen. Das würde die ganze Veranstaltung deutlich verkürzen.
    In die Stille hinein hörte er aus dem Vorraum der Aula leises Geschirrklappern. Er wusste, dass dort draußen gerade ein kaltes Buffet aufgebaut wurde, an dem sich anschließend die Gäste stärken konnten. Auch ein Winzer bot seine Weine an.
    Der Kameramann richtete gerade sein Objektiv auf die erste Reihe und erfasste sie mit einem Schwenk. Dann wechselte er zur Seite und hielt auf den Redner von seitlich vorne.
    Kerner tastete nach seinem Manuskript in der Brusttasche. Steffi bemerkte es und drückte ihm unauffällig die Hand.
    Mit einem Seitenblick vergewisserte er sich, dass die Justizwachtmeister alles im Auge behielten. Die Gäste waren mit der Einladungsliste verglichen worden, sodass eigentlich kein unüberprüfter Mensch im Raum sein durfte.
    Kerner musste sich jetzt konzentrieren, denn der Oberlandesgerichtspräsident beendete seine Rede gerade mit einigen launigen Worten, worauf alle Gäste applaudierten. Kerner erhob sich, gab dem Präsidenten die Hand und setzte sich dann wieder hin, weil erst noch das nächste Musikstück vorgetragen wurde. Ein paar Minuten später bestieg Kerner das Rednerpult. Seine Finger waren etwas feucht, als er die Blätter mit seiner Ansprache auf das Pult legte.
    »Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident«, eröffnete er. Dabei schweifte sein Blick über die Anwesenden, und er musste erstaunt feststellen, dass er jede Frau und jeden Mann von dieser erhöhten Warte aus gut im Blick hatte. Brunner, der als sein Ehrengast eingeladen war, zwinkerte ihm aus der dritten Reihe freundlich zu. Er saß am Rand, sodass er, falls erforderlich, etwas körperlichen Bewegungsspielraum hatte.
    Obwohl sich Kerner auf seine Rede konzentrierte, schaffte es ein Teil seines Gehirns, sich mit einer möglichen Gefährdung zu beschäftigen. Er überlegte, dass ein Attentat, wenn denn eines geplant sein sollte, am besten während des Festaktes geschehen müsste. Bei den zahlreichen Menschen im Raum würden Schüsse vermutlich eine Panik auslösen, die ein Attentäter bestens zur Flucht nutzen konnte.
    Kerner drängte diesen Gedanken jetzt endgültig beiseite und begann mit seiner Rede.
    Nachdem er einige Sätze gesprochen hatte, wurde er lockerer und bewältigte den Rest der etwa zwanzig Minuten dauernden Ansprache mit Bravour. Als er endete, brauste freundlicher Applaus auf. Der Präsident erhob sich, überreichte Steffi und der Präsidentin einen Blumenstrauß, Kerner erhielt ein Weinpräsent. Nachdem das abschließende Musikstück verklungen war, trat Kerner noch einmal kurz ans Mikrofon.
    »Meine Damen und Herren, draußen im Vorraum der Aula ist ein Buffet für Sie aufgebaut. Bitte seien Sie meine Gäste.«
    Damit war der offizielle Teil der Feier beendet, und Kerner stellte aufatmend fest, dass er immer noch lebte. Wahrscheinlich machte er sich viel zu viele Gedanken.
    Ein Großteil der Gäste strömte nun hinaus, um sich mit den vorbereiteten Häppchen zu versorgen. Andere stellten sich an Bistro-Tischen in Gruppen zusammen und unterhielten sich. Kerner blieb wachsam, jedoch konnte er keinen Menschen erkennen, der sich besonders für ihn interessierte. Brunner winkte ihm zu und machte ihm Zeichen, dass er kurz den Saal verlassen würde.
    Nun war die Stunde der Presseleute gekommen. In wechselnden Positionen mussten sich der Präsident und die Präsidentin zusammen mit Kerner und Steffi gruppieren, dann schossen die Fotografen aus allen Richtungen ihre Bilder. Auch der sich etwas schwerfällig bewegende Pressemann mit dem Rollator stand dabei. Nachdem er einige Bilder gemacht hatte, wollte er anscheinend seine Position ändern, hatte aber Schwierigkeiten mit seiner
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