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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Autoren: Charlotte Kern
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akzentfrei deutsch.
    »Natürlich nicht, aber ich dachte an ein berühmtes Bild eines italienischen Malers. Du ähnelst der Figur darauf, dem Gott des Weines.«
    »Geil«, sagte er. »Kenne ich den?«
    In diesem Augenblick steigerte sich Leanders genervtes Gequengel zu lautem Protestgeschrei. Er warf Leonie die Teeflasche vor die Füße und bäumte sich auf, als sie ihm seinen Schnuller in den Mund stecken wollte. Ihre Versuche, das Kind zu beruhigen, wurden von den umstehenden Fahrgästen mit missbilligenden Blicken begleitet. Als sie die Flasche aufgehoben und im Netz verstaut hatte, nahm sie Leander auf den Schoß. Der Bus bog in die Abzweigung an der Frauenkirche ein und fuhr quälend langsam durch die engen Kurven in der Beutau. Im Gang drängten sich die Fahrgäste, und es wurde immer heißer. Ihre Bluse klebte ihr am Körper und Leanders Geschrei steigerte sich zu einem durchdringenden Crescendo.
    »Könnet se koi Auto fahre?«, fragte eine ältere Dame mitfühlend.
    »Was? … Doch!«
    Aber Vater hatte sich mit dem klapprigen, familieneigenen Volvo zu seinem Stammtisch aufgemacht, und Leonie hatte unbedingt ihre Unabhängigkeit beweisen müssen, indem sie öffentlich fuhr. Etwas unsanft versuchte sie ein zweites Mal, Leander den Schnuller in den Mund zu schieben. Aber er spuckte das Ding in hohem Bogen auf den Gang, wo es gemächlich unter den nächsten Sitz rollte.
    »Porca miseria« , sagte der Junge und streckte die Hände aus. »Ich halte den Quälgeist. Dann können Sie den Schnuller suchen.«
    Leonie reichte ihren Sohn nach nebenan, und siehe an, er war auf einen Schlag still. Wahrscheinlich vor Schreck. Sie bückte sich und kroch unter den vor ihr liegenden Sitz. Hier unten, begraben unter weggeworfenen Tempos und ausgespuckten Kaugummis, lag der Schnuller. Als sie ihn hervorzog, klebten Haare am Silikon. Sie würde ihn auskochen müssen. Resigniert schob sie ihn in ihre Rocktasche und setzte sich wieder. Der Bus hielt an der Sulzgrieser Steige. Mehrere Berufstätige drängten sich durch die Menge und stiegen sichtlich erleichtert aus. Der Himmel hatte sich bezogen. Ein Blitz wetterleuchtete im Westen. Leander packte jetzt die Neugier. Er streckte seine Beinchen aus, stemmte sich auf die Oberschenkel des Jungen und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach dessen Mütze zu grapschen. Seine schlechte Laune war wie fortgespült.
    »Da!«, sagte er und riss ihm mit der einen Hand die Mütze vom Kopf, während die andere schon an seinen Locken zog.
    »Nicht!« Unwillkürlich musste Leonie lachen.
    »Wie heißt er denn?«, fragte der Junge und löste die kleinen Fäuste aus seinen Haaren.
    »Leander.«
    »Leandro. Er könnte mein Bruder sein.«
    Leonie schaute genauer hin. Tatsächlich. Beide hatten die gleichen schwarzen Locken und dunklen Augen. Bacchus und ein mutwilliger kleiner Amor, dachte sie unwillkürlich. Caravaggio hätte das Motiv sicher gefallen.
    Der Bus schraubte sich die Serpentinen nach Sulzgries hoch. Von der Höhe aus öffnete sich grandios der Blick bis zur Schwäbischen Alb, über der der Himmel noch immer babyblau leuchtete. Leonie packte Leander in den Buggy und stieg mit ihm am Einkaufszentrum aus. »Ciao«, sagte sie und winkte dem fremden Jungen vom Gehsteig aus noch einmal zu. Schade, dachte sie. Sie hatte ihn noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt.

6.
    »Ihr seht aus wie …« Sybille schaute auf sie herab. »Um es mit deinen Worten zu sagen … eine Raffaelmadonna mit Kind.«
    Leonie lachte. »Nur dass der Granatapfel fehlt und das Jesuskind wahrscheinlich nie die Windeln voll hatte.«
    Leander war auf ihren Armen eingeschlafen. Vorsichtig legte Leonie ihn auf Sibylles Bett ab. Wie hingegossen lag er auf der selbstgenähten Tagesdecke mit Patchworkmuster und schnarchte leise. Leonie setzte sich wieder ans Fenster von Sybilles Dachstudio. Dahinter war der Himmel ein Meer von Grau. Über Nellingen biss sich ein Blitz in die bleifarbenen Wolken.
    Die Dachwohnung in Frau Deringers Einfamilienhaus auf den Höhen von Esslingen war mit hellem Holz verkleidet und hatte gemütliche Schrägen. Das Fenster, unter dem Leonie saß, öffnete sich zum Neckartal und bot einen Blick bis zur Filderebene. Geschickt hatte Sybille neue und alte Möbel miteinander kombiniert und konnte es dabei mit jeder Raumdesignerin aufnehmen. Nach Großmutters Tod hatte sie ihr altes Küchenbüfett abgeschliffen und zum Wohnzimmerschrank umfunktioniert. Auf dem massiven Eichenschreibtisch, den sie von
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