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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Autoren: Charlotte Kern
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geht’s!«, sagte sie dann und schob den Wagen durchs Gartentor auf den Gehweg. Weiße Wolken standen am blauen Himmel. Die Vorgärten der Nachbarhäuser lagen im strahlenden Licht des Spätnachmittags. Eine halbe Stunde noch bis zu ihrem Termin. Das reichte, um das Grab ihrer Mutter auf dem Ebershaldenfriedhof zu besuchen.
    Als sie das schmiedeeiserne Tor öffnete, umfing sie Stille. Die alten Bäume legten Schatten über die Wege. Langsam schob sie den Wagen den schnurgeraden Hauptweg entlang. Die Grabkappelle, ein Zentralbau, bei dem der Architekt in bester Neorenaissancemanier den Proportionen der Palladianischen Villen nachgeeifert hatte, ließ sie hinter sich. Davor lag der jüdische Friedhof mit dem Denkmal für die Zwangsarbeiter, die sich während des Nationalsozialismus im Lager am Flughafen totmalocht hatten, ein riesiger, liegender Davidsstern. Besucher hatten kleine Steine auf die jüdischen Gräber aus dem 19. Jahrhundert gelegt, deren Inschriften nicht mehr zu erkennen waren. Mit der Zeit würden die Kiesel auf den moosbewachsenen Grabstellen verschwinden. Die Gedenksteine würden weiter verwittern, die Namen der Verstorbenen immer weniger leserlich sein, doch der Platz wäre immer noch da, auch nach Jahrhunderten. Ein jüdischer Friedhof war nicht auflösbar.
    »Da«, machte Leander und zeigte auf einen großen Vogel, der zum Himmel flog. Er zog an seiner Mütze und warf sie auf den Boden. Leonie hob sie auf, klopfte sie ab und setzte sie ihm wieder auf den Kopf.
    Langsam wanderten sie den Hauptweg hinunter bis zum christlichen Teil des Friedhofs, der in tiefer Ruhe lag. Rechts des Weges befanden sich die Gräber aus der Gründerzeit. Das Grab von Irene Hausmann lag auf der linken Seite im neueren Teil des Friedhofs. Es war immer schön gepflegt. Leonies Vater hatte darauf verzichtet, an der Grabstätte seiner Frau seine botanischen Kenntnisse auszuleben, und es einfach mit ihren Lieblingsblumen bepflanzt. Jetzt prangte es in allen Farben des Hochsommers. Leonie kam oft hierher. Als sie in Rom war, hatte sie kaum an ihre Familie gedacht, doch heute machte ihr der Verlust umso mehr zu schaffen. Nie würde ihre Mutter Leander kennenlernen und niemals Sebastian erleben, der hinter seiner Aufsässigkeit leidenschaftlich für Gerechtigkeit eintrat. Nie würde sie sehen, wie erstaunlich gut Sybille mit ihrem Leben zurechtkam. Vater trauerte immer noch und würde wahrscheinlich bis zum Ende seines Lebens nicht damit aufhören. Und mir kannst du keinen Rat geben, jetzt, wo mein Leben in Scherben liegt, dachte sie traurig und sammelte ein paar trockene Blätter vom Immergrün. Der weiße Rosenstrauch hinter dem Grabstein blühte in diesem Jahr besonders üppig und duftete gegen ihre Traurigkeit an. Vielleicht war das ja ein Gruß von der anderen Seite.
    »Da!«, staunte Leander und streckte seinen Zeigefinger aus.
    Guck mal, er hat schon Zähne , dachte Leonie.

4.
    Alessio rannte. Hals über Kopf lief er den steilen Weg vom Katharinenheim zum Parkplatz der Esslinger Burg hinunter. Er sprintete über den Vorplatz und durch das Tor in der dicken Mauer, bis er im inneren Burghof stand. Einen Moment lang sah er sich um, dem weißblauen Himmel ganz nah. Auf dem Rasen hatten es sich Mütter mit Kinderwägen und Teeniegruppen bequem gemacht. Es war so voll, dass er ständig in Gefahr kam, über ein Kleinkind oder eine leere Bierdose zu stolpern. Fast wie im Schwimmbad. Nur weiter! Was er vorhatte, war zu wichtig, und wenn er begann, darüber nachzudenken, würde er seinen Plan aufgeben. Er setzte sich erneut in Bewegung, an den Bänken vorbei, auf denen die Leute ihren Feierabend mit Prosecco begossen, bis hin zum Tor im Seilergang, der die Festung nach unten begrenzte.
    Darunter lag nur noch der Weinberg, steil, schräg, grün bewachsen. Dann begann die Stadt. Er hörte seinen Atem, sein Herz pumpte. Doch der Weg war nicht frei. Bevor er diagonal zu den hellgrünen Reben die Burgsteige herunterhasten konnte, musste er eine Touristengruppe durchqueren. Er verdrehte die Augen. Ätzend! Lauter ältere Damen in Wanderschuhen und teuren Treckingklamotten. Er drängelte sich durch, was ihm böse Blicke eintrug.
    »Dr Galgaschtrick!« Eine fette, grau Ondulierte drohte ihm mit der Hand und schaute auf die Altstadt und die rote Fassade des Alten Rathauses herunter. »Und dabei isch des da so schee.« Sie seufzte tief und zufrieden.
    In den Mettinger Arbeiterquartieren bekam man die idyllische Seite der Stadt eher weniger
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