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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Autoren: Charlotte Kern
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aufgeputzten Kellner eines Luxusrestaurants, auf dem Ast neben ihr niederließen. Ihre dunklen Augen musterten sie scharf und schlau und machten klar, wen sie hier für den Eindringling hielten. Die Amsel protestierte und erhob sich in die Luft. Leonie lachte leise und schüttelte den Kopf.
    »Nichts da«, sagte sie und ruckelte an dem Zweig, auf dem die Räuber saßen. Majestätisch erhoben sie sich in die Luft und segelten davon, die Flügel setzten scharfe Scherenschnitte gegen den blauen Himmel. Ihr Weg kreuzte sich mit einem Flugzeug, das zur Landung auf dem Flughafen Stuttgart ansetzte.
    Es war ein schöner Tag Anfang Juli. Tief unter ihr lag Leander in seiner Wippe, spielte zufrieden mit seinen Zehen und beobachtete die Sonnenflecken auf dem Gras. Im Garten blühten lachsrosa und knallrot die Rosen. Auf den Rabatten reiften die Johannisbeeren und sprenkelten die Büsche mit Rot. Der Kirschbaum stand am äußersten Ende des Hausmann’schen Gartens in Oberesslingen, da, wo sich der Bewuchs in Wildnis wandelte, knapp unterhalb des Parks der Kliniken. Leonie schaute sich um. Ihr Elternhaus, ein weißgrauer Kasten mit grünen Fensterläden, begrenzte den Garten ein gutes Stück tiefer zur Straße hin. Schon als Kinder waren sie in dem alten Kirschbaum herumgeklettert und hatten Kirschen gegessen, bis sie beinahe platzten. Einmal war ein Ast unter Leonie abgebrochen, und sie war einige Meter in die Tiefe gesegelt. Ihr Vater hatte sie den Hang hinauf in die Kinderklinik getragen, die sie, stolz wie ein Schneekönig, mit einem Gips am Arm wieder verlassen hatte. Nur Rabenvögel, die die Singvögel vertrieben, hatte es damals noch nicht so viele gegeben.
    Plötzlich schluckte sie, so sehr fühlte sie sich hier zu Hause und wusste doch, dass es nicht so bleiben konnte. Sie würde sich mit Leander etwas Eigenes suchen müssen, sich endlich auf eigene Füße stellen. Leonie Hausmann, 27 Jahre alt, Doktorandin der Kunstgeschichte und alleinerziehende Mutter. Sie hatte ein eigenes Leben gehabt, zuerst an der Uni, dann als Stipendiatin der Bibliotheca Hertziana in Rom. Doch jetzt wohnte sie wieder daheim in der väterlichen Einliegerwohnung. Das musste sich ändern. Wenn der Sommer vorbei ist, dachte sie träge, ließ ihre Augen schweifen und genoss die Stille und das endlich einmal zufriedene Kind.
    Von der Krone des Kirschbaums aus hatte man einen grandiosen Blick ins Tal, auf die Oststadt von Esslingen mit ihrem Gewirr aus roten Dächern. Dahinter stand die griechische Kirche mit ihrer prächtigen Kuppel, daneben der Moscheeneubau, dessen Minarett die Gläubigen auf Weisung der Stadt verkürzen mussten. Weit entfernt hörte sie die B 10 rauschen, der westwärts strömende Neckar war nur eine Ahnung. Leonie pflückte den Ast leer und aß die restlichen Kirschen, die nicht mehr in den Beutel passten, kurzerhand auf. Süßer Saft rann ihr das Kinn herunter.
    Als sie ein entzücktes Lachen hörte, hob sie den Kopf.
    Sie stand auf Sichthöhe zum Zaun des Krankenhausparks, hinter dem sich mehrere Ahornbäume mit gelbgrün gefleckter Rinde erhoben. Hier befand sich eine Aussichtsplattform, auf der die Patienten und ihre Besucher bei schönem Wetter die Ruhe genießen konnten. Hinter der Baumgruppe lag das Gebäude der psychosomatischen Klinik, gebaut als einladender Pavillon. Wie eine Baumelfe stand ein Mädchen am Zaun und schaute aus dunkel umrandeten Augen gebannt zu ihr hinüber. »Du hast dich ja ganz schön eingesaut, aber das mit den Elstern, das war genial.«
    Die Kleine zog an ihrer Zigarette, inhalierte tief und blies Leonie weißen Rauch entgegen. Am liebsten hätte sie gefragt, ob sie schon in dem Alter war, in dem man rauchen durfte, aber stattdessen erkundigte sie sich nach ihrem Namen.
    »Flavia«, sagte sie. »Und du?«
    »Leonie. Möchtest du ein paar?«
    »Klar.«
    Das Mädchen drückte die Zigarette aus, beugte sich vor und pflückte eine Handvoll Kirschen von den obersten Zweigen des Baums.
    »Danke!« Wie eine Opfergabe präsentierte sie die schwarzen Früchte in der geöffneten Schale ihrer Hände. Dabei glitt der Ärmel ihrer Strickjacke zurück und entblößte einen stöckchendünnen Unterarm. Die Hüftjeans schlotterte um schmale Oberschenkel. Leonie wusste, dass in der Klinik auch magersüchtige Mädchen behandelt wurden.
    »Kommst du mal wieder?«
    »Vielleicht.« Unwillkürlich überlegte sie, wie viele Kalorien in einer Handvoll Süßkirschen steckten. Hoffentlich viele. Aber das Mädchen legte die
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