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Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)

Titel: Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Autoren: Charlotte Kern
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aus dem Buggy heraus und warf seine Mütze in den Rinnstein. Mit Engelsgeduld hob Leonie sie auf, schüttelte sie aus und setzte sie ihm wieder auf den Kopf. Dann kramte sie im Netz nach der Teeflasche. Der Bus sollte um 17.22 Uhr fahren, vertaktet mit der S-Bahn aus Stuttgart, die gerade eine ganze Horde Pendler ausgespuckt hatte. Langsam füllte sich der schmale Bussteig. Studenten stellten ihre Rucksäcke ab und kramten ihre Bücher hervor, Bürohengste lüfteten ihre Krawatten, und schicke Sekretärinnen schlüpften kurzzeitig aus ihren High Heels, um ihre geschwollenen Füße zu kühlen. Mit einem schmatzenden Geräusch öffnete ein Schüler eine Coladose und bespritzte die Umstehenden mit Schaum, der entfernt nach Zitronenscheuermilch roch.
    Leonie biss sich auf die Lippen. Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können, im Feierabendverkehr Bus zu fahren? Und das auch noch mit einem schlechtgelaunten Leander im Buggy!
    Im nächsten Schwung Leute, der die Straße bei grün überquerte, befand sich Frau Deringer, Sybilles Vermieterin. Sie trug ein elegantes lila Kostüm und hatte Max dabei, der wie immer zielstrebig an seiner Leine zog.
    »Schhh, Mäxle!«, ermahnte sie ihn. Ihr Lippenstift war ein wenig verlaufen und zu blaustichig für ihren Teint. »Ahh, Grüßgott, Fräulein Hausmann. Ganget se gleich zur Bergstraß? Ja, Buebele, bisch du wieder größer gworde?«
    »Ich steig im Zentrum aus und bring Brezeln mit.«
    »Dann sehe mir uns a weng später. I gang noch kurz nuff uff d’Neckarhalde mit meim Mäxle.«
    Freundlich nickten sie einander zu. Frau Deringer hob den Mops auf den Arm und hielt Ausschau nach dem Bus, der eine Minute später einfuhr. Die Türen schwangen auf, und kurzfristig drängten sich die aussteigenden Fahrgäste mit den einsteigenden auf dem Busbahnsteig. Eine Horde Schüler schubste Leonie zur Seite. Bevor sie überlegen konnte, ob sie ein Mehr- oder Einfahrtenticket kaufen sollte, hatten die Kids schon ungeniert ihre Schultaschen als Rammböcke benutzt und zeigten dem Busfahrer ihre Monatskarte. Unschlüssig stand sie auf dem Bussteig herum. Wie sollte sie Leanders Buggy nur zwischen den Leuten hindurchbugsieren?
    »Schteiget Se hinte oi!«, fuhr sie der Busfahrer auf Türkschwäbisch an. »I mach uff!«
    Gehorsam schob sie den Wagen zum hinteren Eingang, dessen Tür zur Seite glitt, und drehte sich, um ihn in den Bus hineinzuziehen.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen!«, sagte ein Junge höflich und griff nach der unteren Stange.
    »Da!«, machte Leander und schaute ihm fasziniert dabei zu. Leonie hievte den Wagen hoch, während der Junge von hinten nachschob. Der Bus war so voll, dass die Leute sich im Gang auf die Füße traten.
    »Ich muss noch eine Fahrkarte kaufen«, sagte sie.
    Der Junge nickte ihr zu und griff nach der Lenkstange. Sie drängte sich nach vorne durch und kaufte eine Mehrfahrtenkarte. Schließlich sollte sie ja auch noch irgendwie nach Oberesslingen zurückkommen.
    »Danke«, sagte sie und ließ sich erleichtert auf den Notsitz am hinteren Ausgang fallen, wo sich auch ein freier Platz für Kinderwägen befand.
    Der Junge setzte sich neben sie und schaute sie aus dunklen Augen an. Bacchus, dachte sie fasziniert. Er sah genauso aus wie der jugendliche Gott auf Caravaggios berühmtem Bild, der sich, bekränzt von Weinblättern und leicht angetrunken, an einer reich mit Früchten und Wein gedeckten Tafel verlustierte.
    »Gern geschehen«, sagte er und tippte sich an die verkehrt herum aufgesetzte Mütze. Als der Bus startete, stellte Leonie die Bremse am Buggy fest. Verstohlen musterte sie den Jungen neben sich von der Seite. Seine dunklen Locken wurden durch die Mütze zurückgehalten. Am Haaransatz glitzerten Schweißperlen. Seine Lippen waren voll, und unter dem T-Shirt zeichneten sich kräftige Armmuskeln ab. Ein barocker Gott, vielleicht auch ein Engel, der Adam und Eva mit dem Schwert vom Eingang des Paradieses vertrieb. Unwillkürlich dachte Leonie an den homoerotischen Impetus des Bildes, das Michelangelo Merisi, alias Caravaggio, für Kardinal del Monte gemalt hatte, auf dessen Festen sich junge Männer als Frauen kostümierten. Der Bus hielt so unsanft an der Ampel neben der Schelztorhalle, dass sie beinahe vom Sitz gerutscht wäre.
    »Bist du Italiener?« Fast hätte sie sich auf die Lippe gebissen, so unverschämt kam ihr die Frage vor. Leander begann, in seinem Buggy ungeduldig auf und ab zu schaukeln.
    »Sieht man das?«, fragte er verwundert. Er sprach
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