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Blutige Vergeltung

Blutige Vergeltung

Titel: Blutige Vergeltung
Autoren: Lilith Saintcrow
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nicht, was. Ich glaube einfach nicht, dass Marv der Typ für einen Selbstmord war – obwohl Gott weiß, dass jeder Polizist dazu getrieben werden kann.“ In einer hilflosen Geste rang er die Hände wie jemand, der versucht, das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. „Etwas ist faul.“
    Wenn man einem Cop wirklich auf den Zahn fühlt, stößt man früher oder später auf Intuition. Meistens ist es ein instinktives Raten, das so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es schon wie eine Art Vorahnung erscheint – das kommt davon, wenn man lange genug mit den Grenzfällen menschlichen Verhaltens zu tun hat.
    Jäger hingegen sind normalerweise waschechte Hellseher -das Ergebnis von experimenteller Zauberei. Aber egal, kommt aufs Gleiche raus.
    Trotzdem … Warum ausgerechnet ich, Monty? „Warum setzt du keine internen Ermittler drauf an?“
    „Was, die?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Hör mal, Marv war ein guter Polizist. Vielleicht ist ihm schließlich alles zu viel geworden, vielleicht aber auch nicht. Er war verheiratet, seine Frau bekommt seine Rente, und für den Fall, dass …“
    Ich wartete ab.
    „Er war mein Partner“, betonte Monty schließlich bedeutungsschwanger. Als ob das Erklärung genug wäre.
    Aber vielleicht war es das auch. Wenn ihm die Sache merkwürdig erschien oder er einfach nur den Grund herausfinden wollte, dann trieb ihn das Gleiche an wie die Menschen, die mich sonst um Hilfe baten und ihre Lieben wiederfinden wollten. Jeder Verschwundene ist jemandes Kind, Freund oder Geliebter. Und selbst, wenn es nicht so ist, verdient doch zumindest jeder, dass sich jemand um ihn sorgt und ihn suchen will.
    Auch wenn dieser jemand nur ich bin.
    Kutchner hatte die letzte aller Reisen angetreten. Wenn Monty der Vorfall nicht koscher vorkam, er sich der Witwe gegenüber aber korrekt verhalten wollte, war es nur vernünftig, dass er jemanden beauftragte, der sich die Sache still und leise ansehen konnte, damit die Rentenzahlungen nicht unterbrochen wurden. Immer noch vernünftiger als ein brennendes Lagerhaus und ein mörderischer Trader.
    Ich hielt ihm die rechte Hand entgegen. Das Lederarmband über der Narbe verrutschte ein bisschen. „Ich kann dir nichts versprechen. Das fällt nicht in mein normales Aufgabengebiet.“
    Monty ließ die Schultern heruntersacken, als er mir die Akte überließ – ob vor Erleichterung oder weil er eine neue Bürde auf sich nahm, war schwer zu sagen.
    Der Urlaub war doch immer zu kurz.
    „Danke, Kiss, ganz ehrlich.“
    Es fehlte nicht viel, und ich wäre zusammengezuckt. Begleitet vom Quietschen des Leders stand ich auf und stieß einen Seufzer aus, als ich wieder dieses Ziehen im Rücken spürte. Die Narbe brannte, eine Erinnerung, auf die ich genauso gut verzichten konnte wie auf den Rauchgestank, der an mir klebte. „Hey, du sollst mich doch nicht so nennen!“ Ich bin es ihm schuldig, dass ich mir den Fall wenigstens ein paar Tage lang vorknöpfe.
    Monty war nicht nur ein Verbündeter. Er war ein Freund.
    Auch wenn er mir manchmal nicht ins Gesicht sehen konnte.
    Mit der Mappe unterm Arm ging ich nach draußen, dem Rest der Nacht entgegen. Eine graue, fahle Dämmerung zog auf. Der Himmel schien an den Seiten wie ausgebleicht, und ich fuhr mit heruntergekurbeltem Fenster. Die kalte Luft war wie Selbstkasteiung, aber wenigstens roch sie nicht nach Feuer.

2
     
     
    Das Telefon schrillte. Verschlafen drehte ich mich blinzelnd auf die andere Seite. Mein Bett war jenseits aller Vorstellung verknittert, überall lagen Decken herum, und meine Klamotten bildeten neben der Matratze auf dem Boden einen miefenden Haufen. Als ich am späten Morgen heimgekommen war, war ich zu müde zum Duschen gewesen – hatte mich nur aus meinen Kleidern geschält, ein Messer unterm Kissen verstaut und war in dem Quader aus Sonnenlicht eingepennt, der jeden Tag durch das Oberlicht wanderte.
    Wenn man als Jäger nicht ohnehin schon ein Nachtmensch ist, wird man ganz schnell dazu. Am besten eignet sich der Nachmittag für ein langes Schläfchen im sicheren Tageslicht. Sobald es anfängt zu dämmern, ist man in null Komma nichts wach, denn bei Dunkelheit treiben die Nachtschatten ihre Spielchen. Sonnenlicht bedeutet Geborgenheit.
    Meistens wenigstens.
    Sollte der Anrufbeantworter rangehen. Doch der Gedanke an Saul, der womöglich anrief, weil er davon ausging, dass ich zu Hause war, ließ mich aus der tiefen Traumlosigkeit auftauchen und nach dem Hörer tatschen.
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