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Blutige Rosen

Blutige Rosen

Titel: Blutige Rosen
Autoren: Jason Dark
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musste sich in die Pedale stellen, um den kleinen Hügel zu schaffen, dann hatte er es hinter sich und den großen Platz erreicht, der den Turm umgab. Hier hatte nie jemand Gras gemäht oder Unkraut gejätet. Das wilde Gras wuchs fast kniehoch, und zwischen den Halmen breiteten sich die dicken Unkrautblätter aus.
    Victor wollte rechts an dem Turm vorbeifahren, es war der kürzeste Weg zur Gärtnerei, denn die ersten Felder begannen bereits hinter dem Turm. Ein erneuter Windstoß fuhr über den Platz, kämmte das lange Gras und wirbelte am Himmel die Wolken durcheinander, so dass es einige freie Flecken gab. Durch einen schimmerte fahl die Sichel eines Halbmondes. Sein blasses Licht streifte die dicken Mauern des Hexenturms, und Victor hatte für Sekunden das Gefühl, als würde über ihnen ein Schleier aus Silber liegen.
    Dann hörte er die Schreie.
    Er hatte sich wieder auf den Sattel gesetzt, und der Laut traf ihn so unvorbereitet, dass er fast vom Fahrrad gefallen wäre. Im letzten Augenblick konnte er sich noch mit dem rechten Fuß am Boden abstützen. In dieser Haltung blieb er stehen. Den Kopf neigte er etwas vor, seine Augen wurden groß, die Blicke waren auf die Mauer des Turms gerichtet.
    Hatte er sich verhört? Wenn nicht, wer hatte den Schrei dann ausgestoßen? Ein Tier?
    Die alten Geschichten fielen ihm ein. Dort wurde von den Seelen der Toten gesprochen, die keine Ruhe finden konnten. Ob sie vielleicht geschrien hatten?
    Er schüttelte sich, als er daran dachte, und über seinen Rücken rann ein Schauer. Ich stehe hier auf verfluchter, blutgetränkter Erde, dachte er und bekam Angst.
    Wieder der Schrei. Jammernd, heulend und direkt vom Turm her, als würde dort jemand gequält.
    Victor schaute hoch zum Himmel. Die schmale Mondsichel stand zwischen den Wolken, ansonsten war es dunkel. Nicht ein Stern funkelte, ein düsteres Grau zeichnete das Firmament. Unheimlich war es schon.
    Victor stieg vom Rad und kickte den Ständer nach unten. Er selbst nahm sein Gewehr von der Schulter. Die Waffe gab ihm das Gefühl der Beruhigung. An Geister wollte er nicht so recht glauben, denn er dachte sofort an die Rosendiebe, die sich bestimmt einen Spaß mit ihm erlaubten und ihn bereits die ganze Zeit über beobachtet hatten. Denen wollte er es zeigen.
    Er wandte sich nach rechts und ging mit schussbereitem Gewehr auf den Turm zu. Der Eingang war nie verschlossen. Es hatte mal eine Tür gegeben. Sie war jedoch einfach rausgerissen worden. Man hatte die Täter nie gefunden.
    Victor wusste selbst nicht, woher er den Mut nahm, den Turm zu betreten. Vielleicht hatten die Worte seines Chefs Ernest Goring doch eine so nachhaltige Wirkung hinterlassen, dass er seine Angst einfach vergaß, auf jeden Fall kam er dem Eingang immer näher. Wieder fuhr ein Windstoß heran. Seine alte Windjacke knatterte, und die Kapuze stellte sich hoch. Der Wind heulte um das alte Gemäuer, als wollte er ein Klagelied singen und den einsamen Mann davor warnen, den Turm zu betreten.
    Flüsternd erzählten sich die Menschen von einem Ort des Schreckens. Hier nun war es. Hier spielte selbst die Natur verrückt, und Victor glaubte, das Heulen der Elemente als eine Warnung zu verstehen. Schussbereit hielt er sein Gewehr. Den Kolben hatte er an den Hüftknochen gestemmt, der Finger lag in der Nähe des Abzugs, er würde sofort reagieren, wenn sich etwas tat.
    Düster war es im Innern des alten Turmes. Durch die dicken Steine drang auch tagsüber kein Sonnenstrahl. Erst weiter oben im Gemäuer begannen die kleinen Fenster. Schießschartenartige Luken, mehr nicht. Überwachsen mit wildem Efeu und Moos, das sogar ein Flechtwerk vor dem kleinen Fenster gebildet hatte.
    »Ist hier jemand?« Er rief in den Turm hinein, und als hohles Echo geisterte seine Stimme über die kahlen Wände. Keine Antwort.
    »Kommt raus, ihr Diebe!«
    ... Diebe... Diebe, tönte es. Der Turm schien wirklich leer zu sein. Victor konnte man als einen Starrkopf bezeichnen. Wenn er sich einmal etwas vorgenommen hatte, dann führte er es auch durch. Bis zum bitteren Ende. So war man es von den Menschen dieser Gegend gewohnt, und auch Victor bildete keine Ausnahme.
    Er musste sich diesen Turm einfach ansehen. Dort war etwas geschehen. Jemand hatte geheult, und es war wirklich nicht der Wind gewesen, sondern ein Lebewesen.
    Mit eingezogenem Kopf betrachtete er das Innere. Wohl war ihm nicht in seiner Haut. Er fürchtete sich, aber er hätte es nie zugegeben. Niemand griff ihn an, als er in
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