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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld
Autoren: David Ignatius
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waren es aber nicht. Sie waren Attrappen.
    Die wahre Macht lag links von den Aufzügen. Man ging einen schwach beleuchteten Gang hinunter zur Buchhaltungsabteilung. Sie konnte nur betreten werden, indem man in ein elektronisches Schloss einen besonderen Code eingab. Hier war das Reich der Schweigsamen, der irakischen, «vertrauenswürdigen» Mitarbeiter, die den Kern des Unternehmens bildeten. Auf Besucher wirkte die Buchhaltungsabteilung sehr bescheiden. Die Schreibtische und Aktenschränke waren aus schlichtem grauen Metall, die Vorhänge rochen nach Schimmel und Zigarettenrauch, und die Läufer waren fleckig und abgewetzt. Aber hier wurden die wirklichen Geschäfte abgewickelt. Die arabischen Angestellten akzeptierten die Firmenstruktur, ohne Fragen zu stellen. Im Nahen Osten galten Reichtum und Macht als etwas, das versteckt werden sollte. Was sichtbar war, war gewöhnlich nicht real.
    Mr. Hammuds geräumiges Eckbüro bildete eine Brücke zwischen beiden Teilen seines Unternehmens und hatte zwei Türen. Die offizielle Tür führte zu einem großen Vorzimmer mit einer molligen, vollbusigen britischen Sekretärin. Die Privattür führte zu einem schlecht beleuchteten Raum, an dessen Wänden sich mannshoch die Unterlagen stapelten. Dies war das Reich von Professor Sarkis. Er war gleichzeitig der Leiter der Buchhaltungsabteilung. Außer Mr. Hammud war er der einzige Mensch, der einen vollen Überblick über die Geschäfte des Unternehmens hatte. Doch ob er tatsächlich alle Geheimnisse kannte, war selbst bei ihm nicht klar.

1
    Gleich als der Mann sein Büro betrat, wusste Samuel Hoffman, dass er einen Fehler begangen hatte. Der Besucher war ein Filipino Mitte zwanzig, mit schlechten Zähnen, die in verschiedene Richtungen ragten wie ein schlampig zusammengezimmerter Palisadenzaun, und einem unsteten, ausweichenden Blick. In der einen Hand hielt er einen Rosenkranz, in der anderen ein abgegriffenes Foto. Und er weinte. Kein lautes Heulen, sondern das unterdrückte Schluchzen eines Menschen, der sich für seine Tränen schämt. Auf der philippinischen Botschaft habe man ihm gesagt, er solle hierherkommen, stammelte er. Er brauche Hilfe, bitte. Hoffman wünschte sich, er hätte ihn gar nicht erst heraufgelassen.
    «Fünf Minuten», sagte Hoffman mit einem Blick auf seine Armbanduhr.
    Hoffman zog sich in das Privatzimmer hinter seinem Büro zurück und kam mit einer angezündeten Zigarette zurück. Er war ein stämmig gebauter Mann Anfang dreißig, knapp unter zwei Meter groß, mit einem schmalen Gesicht und dunklen, durchdringenden Augen, und er bewegte sich rastlos im Raum umher wie ein Tier im Zoo, das einen größeren Käfig braucht. Er hatte an diesem Tag seine übliche Uniform an: grauer Anzug mit blauem Hemd, das er am Kragen offen trug, die einzige Exzentrizität, die er sich leistete – einen Anzug ohne Krawatte zu tragen. So wirkte er ständig zu fein gekleidet oder zu leger, aber nie genau richtig. Das war teilweise der Grund dafür, dass er einen irgendwie unfertigen Eindruck machte.
    Nach zwei Zügen drückte Hoffman seine Zigarette im Aschenbecher aus und betrachtete die handgeschriebene Karte, die der Filipino ihm beim Eintreten überreicht hatte. «Ramón Pinta» stand da in säuberlichen Druckbuchstaben. Es war weder eine Adresse noch eine Telefonnummer notiert. Einen Moment lang fragte er sich, wer von der philippinischen Botschaft ihn wohl zu ihm geschickt hatte, und dann fiel ihm der Geschäftsmann aus Manila ein, dessen Bruder, ein katholischer Priester, in Saudi-Arabien verschwunden war. Hoffman hatte den Priester nicht gefunden, aber er hatte es versucht. Und jetzt saß ihm dieser kleine Mann mit der handgeschriebenen Karte an seinem Schreibtisch gegenüber und sah aus, als würde er im nächsten Augenblick vor Angst implodieren.
    «Was kann ich für Sie tun, Mr. Pinta?», fragte Hoffman und hoffte insgeheim, dass die Antwort «nichts» lauten würde.
    «Bitte», sagte der Filipino und räusperte sich, um sich Mut zu machen. Er lehnte sich zu Hoffman hinüber und hielt ihm das Foto hin, das er in seiner rechten Hand gehalten hatte. Er hielt es ihm flehend mit ausgestrecktem Arm hin, bis seine Hand zu zittern begann.
    Widerstrebend nahm Hoffman das Foto entgegen. Es zeigte eine Filipina, Anfang zwanzig, mit großen, wachsamen Augen, vorstehenden Wangenknochen und adrett gelockten Haaren. Sie trug eine Dienstmädchenuniform – ein schwarzes Kleid mit weißer Schürze – und sah aus, als
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