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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld
Autoren: David Ignatius
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könnte sie Angestellte in irgendeinem schicken Hotel im Westend sein. Es sah aus wie eine Fotografie vom Tag der Erstkommunion. Ihr Mund war leicht und erwartungsvoll geöffnet. Um ihren Hals hing ein kleines goldenes Kruzifix.
    «Meine Frau», sagte der Mann und zeigte auf das Foto. Er schluchzte jetzt lauter. Hoffman reichte ihm eine Schachtel Kleenex, die auf seinem Schreibtisch stand. Der junge Mann putzte sich die Nase und steckte sich das Kleenex in den Ärmel für später. Er starrte einen Moment lang zu Boden, als müsse er erst Kraft sammeln für das, was er im Begriff war zu tun, und sah dann Hoffman in die Augen. Er holte ein weiteres Foto aus seiner Jackentasche und legte es auf den Tisch, mit der Bildseite nach unten.
    Im Raum war es still. Der Londoner Verkehr draußen war ein Summen, kaum hörbar durch das Fenster hindurch. Der Cursor auf Hoffmans PC -Bildschirm blinkte mit vollkommener Regelmäßigkeit, ein Puls pro Sekunde, darauf wartend, dass er den Bericht fortsetzte, den er gerade für einen Klienten in New York verfasste. Die Gesetzestexte standen in Habtachtstellung auf den Regalen: feste Rücken, steife Seiten, bereit für den nächsten Einsatz. Es war eine Welt der Pläne und Erwartungen, für einen Augenblick in der Zeit erstarrt, genau in dem Moment vor dem großen Zusammenstoß mit einer anderen, bisher ungesehenen Welt. Hoffman blickte wieder auf seine Uhr. Wie könnte er bloß diesen verdammten Filipino loswerden?
    Hoffman drehte das Foto vorsichtig um. Als er die grellen Blitzlichtfarben sah, zuckte er zusammen. Es war ein Polizeifoto, am Tatort aufgenommen, und zeigte die Leiche einer Frau, die auf dem Rasen lag. Sie war nackt bis auf ihren BH . Sie hatte Blutergüsse im Gesicht und um ihre Schamhaare herum. Entlang ihren Schenkeln war angetrocknetes Blut. Man hatte ihr den Slip in den Mund gestopft. Nach der blaubraunen Verfärbung des Körpers zu schließen, war sie schon einige Stunden tot gewesen, als das Foto gemacht wurde. Aber das Gesicht war noch zu erkennen. Hoffman schüttelte den Kopf. Wieder und diesmal mit größerer Überzeugung wünschte er sich, er hätte den Filipino gar nicht erst heraufkommen lassen. Jetzt würde er irgendetwas sagen müssen.
    «Es tut mir leid», murmelte er. Er drehte das Foto um, um die Blöße der Frau zu verdecken, und schob es über den Tisch zurück. Der junge Mann, der wieder mit seinen Gefühlen kämpfte, ließ es dort liegen. Das Schluchzen wurde lauter, und im nächsten Moment vergrub er den Kopf in seinen Händen. Der Rosenkranz fiel auf den Boden. Sie waren die Verdammten dieser Erde, die Filipinos, dachte Hoffman. Die Fußmatten, auf denen die Reichen und Mächtigen ihre dreckigen Schuhe abtraten.
    «Reißen Sie sich zusammen», sagte er und hielt Pinta wieder die Schachtel Kleenex hin. Als das nichts bewirkte, ging er zu dem jungen Mann hinüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Das mit Ihrer Frau tut mir wirklich leid. Was kann ich denn für Sie tun?»
    «Bitte, Mr. Hoffman», sagte der Filipino. Er hatte die Handflächen wie zum Gebet zusammengelegt. «Ich möchte Sie engagieren.»
    «Damit ich was tue?», fragte Hoffman.
    «Damit Sie den Mann finden, der sie umgebracht hat.»
    Hoffman schüttelte den Kopf. Er war Rationalist. Er lebte in einer Welt der Bücher und Berichte. Er kümmerte sich nicht um Tote.
    «Tut mir leid», sagte er, «aber das ist nicht mein Gebiet. Wenn man Ihnen auf der Botschaft gesagt hat, ich würde in Mordfällen ermitteln, dann hat man Sie leider falsch informiert. Ich bin Finanzberater. Ich überprüfe Unternehmen. Projekte. Investoren. Geschäfte verschiedener Art. Verstehen Sie?» Er deutete auf die Bücherregale, vollgestellt mit Gesetzestexten, Handelsgesetzbüchern, Investitionsleitfäden. «Ich untersuche keine Morde.»
    «Aber dieser Fall wäre für Sie ganz leicht, Sir.» Rache flackerte in Pintas traurigen Augen auf. «Weil ich weiß, wer es getan hat.»
    «Tatsächlich?»
    «Ja, Sir. Es war ein arabischer Geschäftsmann. Meine Frau und ich haben für ihn gearbeitet, sie als Dienstmädchen, ich als Koch.»
    Hoffman zog die Augenbrauen hoch. «Haben Sie irgendwelche Zeugen oder Beweise?»
    «Nur mich selbst, Sir. Ich war da, als man sie fand. Es war auf einem Feld in der Nähe seines Landhauses. Er hat gesagt, er wäre an dem Wochenende weg, und seine Freunde haben für ihn gelogen. Aber ich weiß, dass er da war, weil ich ihn gesehen habe. Er wollte eine Frau haben …» Er hielt
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