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Blutgeld

Blutgeld

Titel: Blutgeld
Autoren: David Ignatius
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graue Betongebäude zu. Er musste am Bordstein warten, um eine Kolonne schwarzer Taxis vorbeizulassen, die Richtung Mayfair rasten. Als Hoffman das Gebäude erreichte, stieß er die schmale Tür auf. Direkt dahinter saß ein Mann in Uniform mit viel Gel in den blonden Haaren und großem Bizeps. Er bewachte die Aufzüge.
    «Moment», sagte der Sicherheitsmann. «Haben Sie einen Termin?» Er sah aus wie ein Londoner Straßenrowdy, die Sorte Typ, der in Highbury auf den Terrassen steht und lieber auf die Vorbeigehenden pinkelt, anstatt zur Toilette zu gehen. Hoffman ignorierte ihn und überflog das Verzeichnis an der hinteren Wand, bis er fand, was er suchte. In kleinen Buchstaben, am unteren Ende der Liste der Mieter, stand «Coyote Investment Ltd. – Fünfter Stock».
    Der Sicherheitsmann ging auf ihn zu und verlangte seinen Ausweis, aber Hoffman tat so, als würde er ihn nicht hören. Er schritt in den offenen Aufzug, drückte auf «5» und wartete darauf, dass sich die Türen schlossen. Taten sie aber nicht, und im nächsten Moment stand der Mann neben ihm und lächelte süffisant.
    «Tut mir leid, Kumpel», sagte er. «Entweder Sie haben einen Schlüssel. Oder eine Verabredung.»
    Hoffman überlegte einen Moment. «Ich will zu Miss Alwan», sagte er. «Ist sie da?»
    «Und wer sind Sie?»
    «Mr. White. Ich habe eine Nachricht von einem Freund für sie.»
    Der Sicherheitsmann ging zu seinem Tisch zurück und rief oben an. Als er zurückkam, war aus dem süffisanten Lächeln ein höhnisches geworden. «Sie hat keine Ahnung, wer Sie sind, Freundchen», sagte er.
    Hoffman murmelte irgendwas von einer falschen Adresse und zog sich schnell zur Tür zurück, bevor der Mann vom Sicherheitsdienst ihm weitere Fragen stellen konnte. Hammud hatte also wirklich ein Büro in Knightsbridge, und es gab tatsächlich jemanden, der Lina Alwan hieß und für ihn arbeitete. So viel wusste er jetzt immerhin.
    Hoffman nahm wieder seinen Platz auf dem Bürgersteig ein und überlegte, was er als Nächstes tun solle. Der Regen war stärker geworden. Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie zurück in seine Tasche. Sein Vater hatte einmal bemerkt, dass man bei Überwachungsarbeit grundsätzlich eine Sonnenbrille tragen sollte, ungeachtet des Wetters. Aber Hoffman war zu dem Schluss gekommen, dass sein Vater in dieser Frage, wie in so vielen anderen, eine unzuverlässige Orientierungshilfe war. Er wandte sich von dem grauen Gebäude ab und ging die Straße entlang, auf der Suche nach einer Seitengasse. Bevor er aufgab, hatte er noch einen Trick auf Lager, den er ausprobieren konnte.
    «Ach du Schande», murmelte Hoffman, als er sich einer Kreuzung näherte. Einer seiner Klienten, ein geschwätziger Nigerianer namens Onono, kam ihm entgegen. Er war einmal von ihm engagiert worden, um gegen einen Rivalen in Lagos zu ermitteln, der versucht hatte, ihm seine Kommission auf Ölverkäufe abzujagen. Er trug heute einen blauen Kaschmirmantel und rauchte eine große Zigarre. Dicht hinter ihm ging sein englischer Leibwächter, der einen Regenschirm über ihn hielt. «Hallo, alter Junge!», sagte Mr. Onono munter. Hoffman entgegnete nichts, starrte bloß weiter auf den Gehsteig, bis der große Mann vorbeigegangen war. «Cheerio!», sagte der Nigerianer und setzte seinen Weg fort.
    Im Grunde war das London von heute die späte Rache der Kolonialisierten, dachte Hoffman. Das zeigte sich in Mr. Ononos gebieterischem Gang, in den herablassenden Mienen der asiatischen Geschäftsleute, die von den Rücksitzen ihrer durchs West End fahrenden Limousinen hinausstarrten, in den arabischsprachigen Schildern, die die Schaufenster der Juwelierläden und die Kunstgalerien in Mayfair zierten. Selbst das majestätische Kaufhaus Harrods, das mit seinen roten Backsteinen wie ein Schlachtschiff über das ganze Viertel ragte, gehörte jetzt einem Ägypter. Sie konnten alle mitlachen: die pakistanischen Krämer mit den hohen Stimmen, die schmeichlerischen libanesischen Gebäckverkäufer, die wortgewandten indischen Videohändler. Sie hatten alle begriffen, dass die Polarität der Welt umgekehrt worden war. Das war Hoffman an dem Tag klargeworden, als er in Knightsbridge in die Boutique von Charles Jourdan geschlendert war, angeblich das exklusivste Damenschuhgeschäft der Welt, und einer von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideten saudischen Großmutter begegnete. Sie versuchte vergeblich, sich dem Verkäufer verständlich zu machen, und Hoffman hatte angeboten, für
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