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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller
Autoren: Sharon Bolton
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und rannte in die Richtung, aus der die Stimme kam.
    Joe kauerte am Fuß der Mauer, die den Kirchhof vom Garten der Familie trennte. Er betrachtete ein Grab, das neuer zu sein schien als jene, die es umgaben. Am Fußende, dem Grabstein zugewandt, stand eine Statue.
    »Schau mal, Tom«, verkündete Joe, noch ehe sein großer Bruder zum Stehen gekommen war. »Das ist ein kleines Mädchen. Mit einer Puppe.«
    Tom bückte sich. Die Statue war ungefähr dreißig Zentimeter hoch und stellte ein winziges, rundliches Mädchen mit Locken dar, das ein Partykleidchen trug. Behutsam streckte Tom die Hand aus und kratzte ein wenig von dem Moos ab, das sie überwucherte. Der Bildhauer hatte sie mit vollendet herausgearbeiteten Schuhen ausgestattet, und in den Armen hielt sie eine kleine Puppe.
    »Kleine Mädchen«, meinte Joe. »Das ist ein Grab für kleine Mädchen.«
    Tom schaute auf und stellte fest, dass Joe recht hatte – beinahe. Nur ein einziges Wort war in den Grabstein eingemeißelt. Lucy. Vielleicht stand da noch mehr, doch alles, was sich möglicherweise darunter befinden mochte, war von Efeu bedeckt. »Nur für ein kleines Mädchen«, erwiderte er. »Lucy.«
    Tom zerrte den Efeu weg, der über den Grabstein wucherte, bis er die Daten erkennen konnte. Lucy war vor zehn Jahren gestorben. Sie war erst zwei Jahre alt gewesen. Geliebtes Kind von Jennifer und Michael Pickup lautete die Inschrift. Mehr stand dort nicht.
    »Nur für Lucy«, wiederholte er. »Komm, wir gehen.«
    Tom machte sich auf den Weg, wand sich vorsichtig durch das hohe Gras, wich Brennnesseln aus, schob Brombeerranken zur Seite. Hinter sich hörte er das Gras rascheln und wusste, dass Joe ihm folgte. Als er den Hügel hinaufstieg, kamen die Mauern der Abteiruine in Sicht.
    »Tom«, sagte Joe mit einer Stimme, die sich einfach nicht richtig anhörte.
    Tom blieb stehen. Er konnte hören, wie sich direkt hinter ihm das Gras bewegte, doch er drehte sich nicht um. Er blieb einfach, wo er war, und starrte den verfallenen Kirchturm an, ohne ihn zu sehen. Stattdessen fragte er sich, warum er sich plötzlich so davor fürchtete, sich nach seinem Bruder umzudrehen.
    Er tat es trotzdem. Da waren nur die hohen Grabsteine. Sonst nichts. Tom merkte, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren. Das war wirklich nicht witzig. Dann bewegten sich die Büsche ein paar Meter weiter erneut, und dort war Joe. Er rannte durchs Gras, keuchte und war ganz rot im Gesicht, als hätte er sich mächtig angestrengt, um Schritt zu halten. Er kam näher, erreichte seinen Bruder und blieb stehen.
    »Was ist?«, fragte Joe.
    »Ich glaube, irgendjemand folgt uns«, flüsterte Tom.
    Joe fragte nicht, wer oder wo, oder woher Tom das wusste, er starrte ihn bloß an. Tom streckte die Hand aus und fasste seinen Bruder am Arm. Sie würden nach Hause gehen, und zwar jetzt gleich.
    Allerdings, nein, vielleicht doch nicht. Auf der Mauer, die den älteren Teil des Kirchengeländes von dem Friedhof trennte, welcher sich den Hügel hinunterzog, standen sechs Jungen aufgereiht wie Kegel und beobachteten sie. Tom konnte fühlen, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Sechs Jungen und möglicherweise noch einer ganz in der Nähe.
    Der größte der Jungen hielt einen dicken, gegabelten Zweig in der Hand. Tom sah das Geschoss nicht, das auf sie zugeflogen kam, doch er fühlte den Luftzug, der an seinem Gesicht vorbeipfiff. Ein anderer Junge in einem auffälligen Fußballtrikot in Weinrot und Blau zielte gerade auf sie. Mit schnelleren Reflexen ausgestattet als sein Bruder, warf Joe sich hinter einen großen Grabstein. Tom folgte ihm genau in dem Moment, als der Schuss weit danebenging.
    »Wer sind denn die?«, flüsterte Joe, als ein weiterer Stein über sie hinwegflog.
    »Jungs aus der Schule«, antwortete Tom. »Zwei von denen sind in meiner Klasse.«
    »Und was wollen die?« Joes blasses Gesicht war noch weißer geworden als sonst.
    »Ich weiß nicht«, sagte Tom, obwohl er es sehr wohl wusste. Einer von denen wollte ihm etwas heimzahlen. Die anderen halfen ihm nur dabei. Ein Stein traf den Rand des Grabsteins, und Tom sah Staub auffliegen. »Der mit dem Burnley-Trikot heißt Jake Knowles«, gestand er.
    »Der, mit dem du dich geprügelt hast?«, fragte Joe. »Als du zum Direktor geschickt worden bist? Dessen Dad wollte, dass du von der Schule fliegst?«
    Tom duckte sich und beugte sich vor. Er hoffte, dass das lange Gras seinen Kopf verbergen würde, als er aus der Deckung hervorspähte. Ein
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