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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber
Autoren: Sabine Ebert
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nächsten Mauerspalt geblickt hatte, musste das mitbekommen haben. »Eine Hure. Die will sich bloß interessant machen, damit wir sie doch noch reinlassen«, meinte er abfällig.
    Dann entblößte ein Windstoß ihre Beine. Er sah das weiße Fleisch und leckte sich nervös die Lippen. Vielleicht würde sich die Hure gefällig erweisen, wenn sie sie einließen. Sein eigenes Weib war alt, mürrisch und im Bett nicht zu gebrauchen. Schon stellte er sich vor, wie er mit seinen blauen Händen die Brüste der Hure umklammern würde, die bestimmt so weiß waren wie das, was er gerade von ihrem Körper zu sehen bekommen hatte. Der Blaufärber wurde ganz aufgeregt bei diesem Gedanken, sein Mund war mit einem Mal ganz trocken. Ob er wohl den anderen dazu bringen konnte, entgegen den Regeln noch einmal das Tor zu öffnen?
    Als Hartmann sich umdrehte, merkte er, dass Jan schon auf dem Weg nach unten war. Hat also auch Appetit auf das Täubchen, der Bursche, dachte er und lachte meckernd vor sich hin.
    Zu seiner Enttäuschung ging Jan nicht gleich zum Tor, sondern blieb in der Wachstube stehen. »Herrmann, du musst entscheiden, ob wir noch einmal jemanden einlassen«, forderte er den Älteren auf und unterrichtete ihn mit wenigen Worten.
    Zu dritt gingen sie hinaus zum Tor.
    »Wer da?«, rief Herrmann der Unbekannten zu, laut genug, damit seine tiefe Stimme durch das Gebälk dringen konnte. »Und was weißt du vom Heer des Königs?«
    »… nah …«, war alles, was sie von der kraftlosen Antwort hören konnten.
    Jan und Herrmann sahen einander an. »Sie kommt aus der Richtung, aus der wir das feindliche Heer erwarten. Sie könnte denen in die Hände gefallen und entflohen sein«, gab der Jüngere zu bedenken. »Vielleicht bringt sie wichtige Neuigkeiten. Wenn wir sie nicht hereinlassen, ist sie morgen früh erfroren.«
    Herrmann nickte zustimmend. »Ratsherr Conrad hat den Schlüssel schon geholt. Lauf ihm nach!«
    Dann rief er laut durch das dicke Holz: »Weib, geh zum Erlwinschen Tor! Dort wird man dich einlassen, ausnahmsweise, trotz der späten Stunde.«
    Von draußen kam keine Bestätigung.
     
    Es kostete Jan einige Mühe, den graubärtigen Stadtphysicus zu überzeugen, das Erlwinsche Tor noch einmal zu öffnen.
    »Keiner kommt mehr in die Stadt nach dem Abendläuten«, schnappte der für seine Schroffheit bekannte Arzt und wandte sich schon ab, um weiterzugehen.
    »Uns droht Krieg! Wir müssen wissen, wie weit das königliche Heer an die Stadt herangekommen ist. Oder soll ich zum Kommandanten der Burg gehen, damit er Euch Order erteilt?«, beharrte Jan dreist und stellte unter Beweis, dass er den Spottnamen »Sturkopf« nicht umsonst trug.
    Es war zwar fraglich, ob man ihn zum Burgkommandanten vorlassen würde, aber sein älterer Bruder war der Hauptmann der Wache und würde ihn schon anhören.
    Conrad Marsilius musterte den vorwitzigen Burschen wortlos. Dann wies er mit einem stummen Seufzer Richtung Erlwinsches Tor. »Gehen wir. Aber schnell! Ich werde dringend bei einem Kranken erwartet.«
    Am Haupttor, dem einzigen, das in besonderen Fällen auch nachts noch einmal geöffnet wurde, unterrichteten sie die dortigen Wachen, dann zog der Ratsherr sein schweres Schlüsselbund hervor und öffnete die Ausfallpforte neben dem Tor einen Spaltbreit.
    Hastig spähte Jan hinaus. Niemand war zu sehen.
    Hatte es die Unbekannte nicht mehr bis hierher geschafft, oder war es doch ein Hinterhalt?
    »Ich gehe sie suchen«, sagte er und vergewisserte sich, dass sein Dolch griffbereit unter dem Umhang steckte. Dann stemmte er sich gegen die Tür, hinter der sich eine Wehe türmte, und zwängte sich hinaus.
    Der Wind blies immer noch unbarmherzig eisige Böen über die Ebene; dichte Schneewehen schränkten die Sicht auf ein paar Schritte ein.
    Das ist ein Winter, der uns sogar die Wölfe bis an die Stadtmauer treiben könnte, dachte Jan, zog seinen Umhang enger um sich und blickte suchend nach links und rechts. Niemand zu sehen. Also blieb ihm nichts anderes, als über die Brücke und am Graben entlang der hohen Mauer zum Peterstor zu stapfen. Normalerweise kein allzu weiter Weg, nicht einmal eine halbe Meile, aber diesmal angesichts des Wetters und der Unmengen Schnees eine kraftraubende Strecke.
    Er entdeckte sie erst, als er schon bis auf wenige Schritte vor dem anderen Tor war: zusammengebrochen im Schnee liegend, den halbnackten Arm der rettenden Pforte entgegengestreckt. Der Wind ließ ihr offenes Haar wehen, doch nichts verriet, ob
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