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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber
Autoren: Sabine Ebert
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nicht verscheuchen, sah jeden Einzelnen noch einmal vor ihren Augen sterben.
    Samson, den Riesen, hatten die Bewaffneten als Ersten niedergemacht, damit er ihnen nicht gefährlich werden konnte. Dann ließen sie Andres so lange mit seinen bunten Bällen jonglieren, bis der erste Ball zu Boden fiel, um ihm zur Strafe und zu ihrem Spaß einen Arm abzuschlagen. Höhnisch hatten sie den Verblutenden aufgefordert, mit einer Hand zu jonglieren, und als er das nicht tat, schlugen sie ihm auch den anderen Arm ab. Als Andres tot war, schnitten sie den Kindern die Kehlen durch, die sonst immer die Pfennige der Zuschauer einsammelten und nun angesichts des Mordens nicht aufhören wollten zu schreien. Die alte Delia, die Sibylla das Lesen aus der Hand beigebracht hatte, erstachen sie, als sie sich schützend vor die Kleinen werfen wollte. Und dann waren nur noch Honza, der Spielmann, und sie übrig.
    »Los, sing uns was vor«, hatte ihn unter dem Grölen seiner Kumpane einer aufgefordert. »Wir lassen dich leben, solange du uns nicht langweilst.«
    Und Honza, ihr Liebster, hatte um sein und ihr Leben gesungen. Reim um Reim, grobe Possen, deftige Späße, während die verrohten Kerle ums Lagerfeuer saßen und soffen und die wiederkehrenden Verse mitgrölten. Sibylla sah an seinen Augen, dass er verzweifelt versuchte, die Männer davon abzuhalten, über sie herzufallen. Doch sie wussten beide, dass ihr Schicksal besiegelt war wie das ihrer toten Gefährten. Selbst mit den derbsten Späßen würde Honza die Bewaffneten nicht mehr lange aufhalten können.
    »Jetzt gib mir mal die Melodie vor«, hatte bald einer von ihnen gerufen und war auf sie zugegangen, während er zur Belustigung seiner Kumpane anstößig das Becken vor- und zurückbewegte.
    »Komm, sei nett zu mir, Schätzchen, dann tu ich deinem Spielmann nichts.«
    Es musste wohl der Anführer des Trupps sein, der da breitbeinig auf sie zukam, stiernackig, einen Wolfspelz über der Schulter, mit übelriechendem Atem und bösem Grinsen, während seine Kumpane grölten und ihn anfeuerten.
    Sibylla warf ihrem Liebsten einen letzten verzweifelten Blick zu, mit dem sie ihn beschwor, sich nicht einzumischen. Lieber wollte sie erdulden, was ihr bevorstand, als ihn auch noch sterben zu sehen.
    Doch während ihr der Anführer mit einem Ruck das Kleid herunterriss, war Honza schreiend auf ihn zugestürmt, die Laute wie eine Keule schwingend. Er kam nicht weit, jemand stieß ihm einen Dolch in die Brust. Noch während der Spielmann zu Boden sackte, war ein Zweiter aufgesprungen und schlug ihm den Kopf ab. Als der enthauptete Leichnam den schmutzig getrampelten Schnee rot färbte, trat der Mörder an ihn heran und hieb dem Toten auch noch die Hände ab.
    »Jetzt versuch mal, in der Hölle zu spielen«, knurrte er, während die Männer um ihn herum lachten.
    Der Mann packte Sibylla brutal an den Haaren und drehte ihren Kopf so, dass sie den verstümmelten Leichnam ihres Liebsten sehen musste.
    »Jetzt zu dir!«, fuhr er sie an und stieß sie zu Boden.
    Sibylla wusste nicht mehr, wie viele Männer über sie hergefallen waren; irgendwann war sie ohnmächtig geworden. Dass die anderen sie für tot hielten, rettete ihr das Leben. Als die Bewaffneten, müde und berauscht vom Bier und ihren Untaten, eingeschlafen waren, kam sie vor Kälte schlotternd zu sich, stahl ein verfilztes Schaffell und kroch davon, mühsam, obwohl ihr jeder Zoll ihres Körpers schmerzte.
    Sie wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, dem Heerlager zu entkommen, und schon gar nicht, wie sie noch so weit hatte laufen können, bis hierher, bis nach Freiberg, ohne zu erfrieren. Die Bewohner der Dörfer, durch die sie unterwegs gekommen war, hatten sie vertrieben, manchmal sogar mit Knüppeln oder Heugabeln.
    »Huren und Lumpenpack können wir hier nicht brauchen!«, hatten sie ihr mehr als einmal nachgeschrien.
    Vielleicht wäre ihr zu anderer Jahreszeit mehr Mitleid entgegengebracht worden. Aber in diesem harten Winter mussten die Dörfler befürchten, selbst Hungers zu sterben.
     
    Die ungeduldige Stimme Herrmanns riss Sibylla aus der Schreckensstarre, in die sie die Erinnerungen versetzt hatten.
    Sie fuhr zusammen und räusperte sich.
    »Ich heiße Sibylla«, wiederholte sie mit heiserer Stimme. »Die Truppen des Königs haben mich und meine Gefährten gefangen genommen. Wir sind … waren … Spielleute und fielen ihnen in die Hände, als uns ein Gastgeber an sie auslieferte, um selbst in Ruhe gelassen zu
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