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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben
Autoren: Uwe Voehl
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Dickens handeln«, erklärte ich. »Und tatsächlich lautet sein Name auch noch Oliver. Nach Oliver Twist. Sein zweiter Vorname ist Dylan.«
    Jetzt erst schien Norbert zu registrieren, dass ich über den Ankömmling sprach.
    »Du kennst diesen Typen?«
    Ich nickte. »Nicht wirklich. Wir sehen uns heute zum ersten Mal. Aber die Gräfin hat mir ein altes Foto von ihm gezeigt. Er könnte es sein. Wer fährt hier schon einen feuerroten Morgan?«
    Norbert sah mich fassungslos an: »Heißt das, ihr bekommt Nachwuchs für euer Irrenhaus?«
    So liberal und aufgeschlossen Norbert auch war, ich wusste genau, was er über die Gräfin und Duffy dachte. Für sie waren es Verrückte. Bestenfalls Freigänger, die für eine befristete Zeit die unbescholtenen Bürger mit ihrem Spleen behelligen durften, bevor sie von den Männern in den weißen Kitteln wieder in ihr eigentliches Domizil geführt wurden.
    »Hatte ich dir nicht erzählt, dass Oliver Dylan Dickens der Alleinerbe des alten Majors ist? Nach dem Tod des Majors sah es zunächst so aus, als wäre er, der als einziger Erbe gilt, wie vom Erdboden verschluckt. Der junge Dickens hatte die Adresse gewechselt wie andere ihre Unterhose. Schließlich hat man ihn doch ausfindig gemacht, und jetzt, so scheint’s, ist er endlich da.«
    »Spät, aber plötzlich.« Norbert verdrehte die Augen. »Lass mich mit dieser verrückten Sippe in Ruhe!«, schimpfte er. »Ich habe zurzeit andere Sorgen. Und jetzt werde ich mir diesen Störenfried erst einmal vorknöpfen!«
    Bevor ich ihn aufhalten konnte, stiefelte er von dannen, zu dem Wagen hin. Seine Schuhe hinterließen tiefe Abdrücke in dem Matsch.
    Ich seufzte. Eigentlich hatte ich mit dem Ganzen ja nichts zu tun. Es war eine gute Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Ich hatte nicht die geringste Lust, weiterhin Norberts schlechte Laune auszubaden. Andererseits war meine Neugier mal wieder größer.
    Langsam folgte ich Norbert. Sollte der erst einmal die Lage klären.
    Ich kam an dem Kopf vorbei. Noch immer schaukelte er leicht im Wind. Die kratertiefen Augenhöhlen schienen mich anzustarren. Der metallene Gegenstand, den die Zähne so krampfhaft umschlossen, erinnerte mich an etwas.
    An das Fundstück in meiner Jackentasche.
    Irgendwie kam ich nicht dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen, denn ich hatte den roten Wagen bereits erreicht. Der Neuankömmling entstieg soeben seiner Rakete auf vier Rädern. Auch hierbei bediente er sich einer ganz und gar unorthodoxen Methode. Anstatt die Fahrertür zu öffnen, sprang er sportlich darüber hinweg und erwiderte höflich die alles andere als freundlich zu bezeichnenden Blicke der Polizeibeamten.
    Er kam zwar nicht direkt vom Mars, wirkte aber dennoch wie ein Fremdkörper im Teutoburger Wald. Außerdem war der Zeitpunkt seines Auftritts absolut unpassend.
    Zumindest schien er einem anderen Zeitalter zu entstammen. Einem Zeitalter, in dem die Fahrer sich noch Automobilisten schimpften, in dem sie Lederkappen, Schutzbrillen und Overalls trugen.
    Er schien die Polizisten um ihn herum entweder nicht zu sehen, oder er beachtete sie einfach nicht. Er schaute durch sie hindurch, hob theatralisch die Arme und rief: » By Jove!«
    Ich war zu Norbert getreten. »Ist er das?«, flüsterte er mir zu.
    Ich versuchte mich verzweifelt an die silbern eingerahmte verblichene Fotografie zu erinnern, die seit Jahr und Tag im Salon der Gräfin auf dem Sideboard stand. Oft genug hatte sie mir freudestrahlend die Familie des Majors gezeigt. Auf dem Foto war auch ein etwa zehnjähriger Knirps zu sehen. Mit roten Strubbelhaaren, Sommersprossen und einem Gesicht, als würde er den Fotografen am liebsten erwürgen.
    »Kann sein«, gab ich zurück. »Kann aber auch nicht sein.«
    »Verrückt genug ist er ja anscheinend. Er könnte in die Familie passen.«
    Während wir noch diskutierten, ging der junge Mann weiter, ohne sich um den Kordon zu scheren, der sich um ihn gebildet hatte, und fuhr fort: »Eine Burg! Ein Königreich für eine Burg! Hier ist sie, hier bin ich zu Haus!«
    Ich dachte, es sei nun höchste Zeit, einzuschreiten. Aber mein Freund Krause kam mir zuvor. Während seine Kollegen aus dem Staunen nicht mehr herauskamen, zeigte er eiserne Nerven.
    »He, Sie!«, brüllte er. »Hier können Sie nicht so einfach herumspazieren! Dies ist ein Tatort!«
    »Ein Tat ... was?« Der seltsame Ankömmling starrte Krause fassungslos an. Jetzt griff auch Hasso ins Geschehen ein. Er besann sich auf seine Pflichten als
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